Nach all dem Pop und Trash mal wieder etwas Ernsthafteres, allerdings nur ein bisschen. David Foster Wallace, der als das große Nachwuchstalent der US-Literatur galt, hat mit dem 1000-Seiten-Wälzer "Infinte Jest" 1996 einen Instant-Kultklassiker geschrieben, der in den USA sogar zum Bestseller avancierte. Das ist einerseits überraschend, da der fette Ziegel nicht unbedingt leichte Thrillerkost à la Micheal Crichton ist, sondern eher in die Richtung Pynchon & Co tendiert, andererseits zeigt es aber, worauf es der US-Literatur auch ankommt: "Infinite Jest" ist feinste Unterhaltung, zum Teil hysterisch komisch, abwechslungsreich und an jeder Ecke überraschend. Das bestätigt meine These, dass in fremdsprachigen Literaturen der Unterhaltungswert eines Buches nicht wie im Deutschen automatisch indirekt proportional zur Qualität stehen muss.
"Infinite Jest" ist eine Tragikomödie, aus 100 verschiedenen Blickpunkten geschrieben. Im Mittelpunkt der fragmentierten Erzählweise stehen Hal Incandenza, das Alter Ego des Autors, sowie dessen Familie, im Vergleich mit denen die Royal Tennenbaums wie spießige Vorortbewohner wirken. Der Teenager Hal ist - wie es Wallace ebenso war - ein aufstrebender Jugend-Tennisprofi, der an der von seinem Vater gegründeten Tennisakademie für den Profisport ausgebildet werden soll. Doch das ist nur einer der vielen Handlungsstränge, daneben spielen kanadische Terroristen im Rollstuhl, eine Entzugsklinik, Hals Geschwister und unterschiedlichste andere Figuren eine Rolle.
Wie es bei den Amerikanern oft so ist, kann die mäandernde Haupthandlung nicht einfach nacherzählt werden, vor allem, da Wallace erst nach und nach die absurde Welt seines Romans enthüllt. Es ist ein bizarr um einen Millimeter verschobenes Amerika einer alternativen nahen Zukunft, in dem sich das Amerika der Neunzigerjahre nur gebrochen widerspiegelt. "Infinite Jest" schaftt das Kunststück, an der schmalen Klippe zwischen Irrsinn und Ernsthaftigkeit zu balancieren, liefert Erschütterndes mit Pointen zum Zerkugeln, Wahnwitziges mit bitteren Pointen und tiefste Abgründe mit lebensbejahender Absurdität. Es ist fast eine ironische Wendung, dass Wallace, der in "Infinite Jest" viele seiner Figuren um den Selbstmord kreisen lässt, im Herbst 2008 selbst seinem Leben ein Ende setzte.
Trotzdem - oder deshalb - ist "Infinite Jest" ein Lesevergnügen, das unterhält, verwirrt, zum Lachen und zum Nachdenken bringt, eine sich selbst auf die Schippe nehmende Meditation über Sport, das Leben, den Tod, Unterhaltung, Abhängigkeit und die westliche Welt. Ein Buch, bei dessen Lektüre man lacht auflacht, um im nächsten Kapitel erschüttert zurückzubleiben. Schade, dass dieses außergewöhnliche Werk, das erst im nächsten Jahr auf Deutsch veröffentlicht wird, das Einzige seiner Art bleiben wrd. Thomas Pynchon würde solche Bücher schreiben, wenn er etwas proletarischer, etwas bekiffter und ein Surfhippie wäre.