MTV
war mal ein richtig guter Sender, der lieferte, was der Name versprach:
Musikvideos. Menschen über 20 erinnern sich noch heute gerne voll Wehmut daran.
Doch leider: Diese Zeiten sind vorbei. Verirrt man sich heute auf MTV oder
VIVA, muss man schon großes Glück haben, um überhaupt Musik zu sehen. Mit viel
größerer Wahrscheinlichkeit allerdings wird man in den neunten Kreis der
Werbehölle gestoßen und muss fassungslos und mit sofort einsetzender
Gehirnlähmung die allertiefste Form des Kaufanreizes erleiden, die unsere an
Grausamkeiten nicht arme Spezies jemals hervorgebracht hat: die
Klingeltonwerbung.
Grafisch ähnlich
geschickt gestaltet wie die Tabellenkalkulation eines farbenblinden
Steuerprüfers, von der gefühlten Länge eines besonders öden „Worts am Sonntag“
und mit der Subtilität eines betonbrechenden Presslufthammers wird dem erschütterten
Zuseher eine mindestens zwanzig Positionen umfassende Liste aktueller
Klingeltonangebote inklusive SMS-Code vorgelesen – vorgetragen von einem eigens
für den österreichischen Markt nach Sprachstörungskriterien ausgesuchten
Brüllaffenkleinhirnbesitzer, den ich, so wahr mir Gott helfe, sobald ich ihn
irgendwo in einer finsteren Gasse an der penetranten Stimme erkenne, ungespitzt
in die tieferen Erdschichten des Planeten rammen werde – als gute Tat fürs
Allgemeinwohl.
Wer tatsächlich voll
Ungläubigkeit und Staunen diesem Stahlgewitter von Überwältigungsmarketing
entkommen ist, bleibt für mindestens eine Minute betäubt vor dem TV-Gerät
liegen. Und das ist Kalkül, denn spätestens 45 Sekunden nach dem Überleben
einer derartigen Attacke auf die Gehirnhäute folgt die exakt gleiche Dosis ein
zweites Mal, weil’s so schön war – wer das ohne dauerhafte Gehirnschädigung
oder sofortigen unwillkürlichen Amoklauf übersteht, ist ein besserer Mensch als
ich.
Okay: Ich bin auch
nicht das Zielpublikum. Wenn schon immer weniger Tonträger verkauft werden,
muss konsequent auch noch die letzte Maus trockengemolken werden – mit allen
Mitteln. Arme Jugend: Wer täglich, und sei es nur nebenbei, im
Viertelstundentakt derartiger Gehirnbleiche ausgesetzt ist, muss ja schon zum
Selbstschutz zum konsequenten Komasäufer mit Notwehr-ADHS und Narbengewebe an
den Gehirnlappen werden. Wahrscheinlich steht diese Warnung aber ohnehin im
unleserlichen Kleingedruckten am unteren Rand des Werbespots – zwei Millimeter
groß, gleich neben den Abo-Knebelvertragsklauseln und den tatsächlichen Kosten.
Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.