JG Ballard ist diese Woche gestorben, und das ist ein herber Verlust nicht nur für die SF, sondern für die Literatur im Allgemeinen. Wer seine Kurzgeschichten findet - etwa hier -, der lese und trauere. Was Die Zeit schrieb, ist wahrlich keine Übertreibung: "Wenn Sie die Gegenwart verstehen wollen, dann müssen Sie diesen Autor lesen."
Ein anderer britischer Autor kann es zwar noch nicht mit dem Unnachahmlichen aufnehmen,er macht sich aber gerade einen Namen. Ian McDonalds letzte Romane beschäftigen sich mit einer Zukunft, wie wir sie als West-zentrierte Leser bisher nur selten zu denken wagten, wenn auch der Godfather of Cyberpunk schon in diese Richtung tendierte. McDonald nimmt das Jahr 2047 zum Anlass, ein farbenprächtiges Gemälde aus verschiedenen Erzählsträngen zu spannen, die rund um den 100. Geburtstag von Indien passieren. Ein "Slumdog Millionaire", 50 years into the future? "River of Gods" kann mehr.
Man soillte hier denn auch weniger von klassischer Science- als vielmehr von Social Fiction sprechen, und McDonald geht es nicht um billige Exotik, um Cyberpunk à la Indienne, sondern um eine Extrapolation einer uns schon jetzt weit entfernten Welt, die mit einem Bein in der Zukunft und mit dem anderen außerhalb der Zeit steht. K.I.s mit den Namen und Attributen der Götter des indischen Pantheons, Hijras, Religionskriege, Bollywood virtuell, Energiekrisen, die Folgen des Kolonialismus und ökologische Katastrophen ergeben zusammen aber kein düsteres, sondern ein lebendiges, auch philosophisches Bild einer Kultur, das den Autor auch außerhalb des westlichen SF-Publikums zu Recht populär gemacht hat.
"I think a little about death every day. It is most focussing. It is a great reassurance that we leave the particular and rejoin the universal. That, I think, is the moksha of Ganga. We rejoin the river of history like a drop of rain, our stories told and woven into the stream of time. Tell me - you have lived in the west - is it true that they burn their dead in secret, hidden away from everyone as if they are a thing to be ashamed of?" [...]
"It is true", Vishram says to Chakraborty, "They can't look at it because it scares them. To them, it is the end of everything."
Abseits des solcherart eingestreuten Hinduismus ist die vielschichtige, kaleidoskopartige Handlung spannende und solide SF, die dem Genre buchstäblich einen ganzen Subkontinent eröffnet. Momentan leider nur auf Englisch erhältlich, aber für Sprachbegabte auf jeden Fall auch so eine Empfehlung.