Comics, vor 20 Jahren II: V for Vendetta
Alan Moore ist seiner Zeit voraus. Bereits 1982 erschein ein erster Abdruck seiner vielfach prämierten Graphic Novel "V for Vendetta", ab 1988 wurde sie in Farbe wiederveröffentlicht und zu Ende geführt. Und erst 2005, im Zuge der Comics-Renaissance im Mainstreamkino, machten sich die Wachowski-Brüder als Drehbuchschreiber daran, eine mediokre Actionkinoverfilmung des Stoffes hinzuschmeißen, in der alles überstylisch und explosiv sein musste. Wer den Film nicht gesehen hat: Nichts versäumt - den Comic zu lesen ist, wie bei den meisten Verfilmungen, etwas völlig anderes.
Moore ist ein Dystopist, dessen düsteres Werk sich nicht hinter "1984" verstecken muss. Im fiktiven 1997 istganz Großbritannien ein faschistischer Überwachungsstaat, der mit Berufung auf Terrorismus und Ausnahmegesetze die medial beruhigte Bevölkerung mit eiserner Hand regiert. Geheimpolizei, Propaganda und Konzentrationslager - schon zu Beginn ist "Vendetta" kein Comic wie jeder andere, sondern eher eine Melange aus Alexandre Dumas und Che Guevara.
Die holzschnittartigen Zeichnungen von David Lloyd brauchen etwas Eingewöhnungszeit, doch die labyrinthisch erzählte Geschichte des unbekannten Anarchisten mit der absichtsvollen Guy-Fawkes -Maske reißt den Leser in eine politisch-moralische Parabel über die Pflicht zum Widerstand und das Funktionieren des Faschismus im Großen und im Kleinen.
Es ist die Geschichte eines Rachefeldzugs, der Stück für Stück das unterdrückerische Regime destabilisiert, ein raffiniert vollbrachter Staatsstreich auf Raten, im Namen der Selbstbestimmung und Anarchie. V, der mysteriöse,lyrisch und theatralisch begabte Held des Comics, ist kein Superheld im Comicsinne, sondern bleibt anonym und ohne Persönlichkeit - eine Wendung, die im Film aufs Doofste a la Hollywood vermurkst wurde.
"You must discover whose face lies behind this mask. But you must never know my face."
Wessen Gesicht hinter der Maske des Freiheitskampfes stecken soll, zeigt sich übrigens ganz real im Kampf von Anonymous gegen Scientology - die Demonstranten treten, ganz in Alan Moores Sinn, in der Maske von Guy Fawkes gegen den Kult an.
Alan Moores Buch ist somit einer der Undergroundklassiker modernen zivilen Ungehorsams geworden. Und seine vor über 20 Jahren ausgedachte Dystopie eines faschistischen Überwachungsstaates hat sich, trotz aller Zeitenwenden, als düster prophetisch herausgestellt.
"Since mankind's dawn, a handful of oppressors have accepted the responsibility over our lives that we should have accepted for ourselves. By doing so, they took our power ... by doing nothing, we gave it away."
Anarchisten machen gute Helden. Politische (Be)Bild(er)ung für jedermann. Nie war sie so wertvoll wie heute!
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