Die leere Welt des Thomas Ligotti
Eine der allerschwierigsten Literaturformen ist ohne Zweifel Horror. Während uns ein Film mit lauten Geräuschen aufwecken kann, wenn wir am Eindösen sind, muss sich der Horrorautor darauf verlassen, beim Leser eine morbide Faszination an der Furcht zu entfachen, die durch das Lesen nur gesteigert wird.
Und wie's bei schwierigen Kunstformen immer ist, sind 95% der Bandbreite Schrott. Der große Literat des Genres, H.P. Lovecraft, hat zwar viele Nachahmer gefunden, aber keinen legitimen Nachfolger, der den "kosmologischen Horror" - die erschreckende Erkenntnis der menschlichen Beschränktheit im Angesicht der unmenschlichen Mechaniken der Welt - einen Schritt weitergeführt hätte.
Bis auf Thomas Ligotti .
Der 1953 geborene Amerikaner ist ein Phantom, weniger scheu als Pynchon, aber immerhin obskur genug, dass Poppy Z. Brite in ihrem Vorwort zur Anthologie "The Nightmare Factory" gar die halb ernst gemeinte Frage stellte, ob der mysteriöse Autor, der wie Lovecraft Kurzgeschichten und Novellen für Paperback-(Pulp)-Horror.Sammlungen schreibt, überhaupt real existiert. Aber er muss wohl real sein, immerhin hat er gemeinsam mit Current 93 an drei Alben mitgearbeitet.
In Collapse IV tritt Ligotti sowohl als Gegenstand der Betrachtung als auch als Beiträger in Erscheinung, doch das speziell Unheimliche, Erschreckende an seinen Texten wird auch ohne Sekundärliteratur jedem Leser offenbar.
Wie bei Lovecraft gibt es auch in Ligottis kurzen Stücken keine Helden, fast keine sichtbaren Monstrositäten - und keine Hoffnung und kein Happy End. Michel Houellebecqs Essay über Lovecraft "Gegen die Welt. Gegen das Leben" (Link zum engl. pdf) spricht im Titel auch ein zentrales Motiv Thomas Ligottis an: Der Mensch ist eine Marionette seiner selbst, jegliche Selbstbestimmung ist Illusion in einem trost- und sinnlosen Universum, das nur zum Tod führt.
Der Horror Ligottis braucht demgemäß auch nichts Übernatürliches, sondern betrachtet die Natur als erschreckenden Mechanismus, dem sich kein Sinn auferlegen lässt:
"there are no people, nothing at all like that.
the human phenomenon is but the sum of densely coiled layers of illusion,
each of which winds itself upon the supreme insanity that there are persons of any kind.
when all that can be is mindless mirrors
laughing and screaming as they parade about
in an endless dream."
(Current 93, "I Have A Special Plan for this World")
Der Schrecken, der nach und nach auch den Leser erfüllt, ist kein metaphysischer, kein literarischer oder harmloser Schrecken. Er ist eine kristalline Depression ohne Selbstmitleid, weil das Selbst das erste Opfer der Erkenntnis einer leeren Welt geworden ist.
Doch keine Angst: Ligottis Literatur ist niemals trist, sondern vielmehr aufregend in ihrer Desolation und Neuheit. Wie Lovecraft zeigt Ligotti kein Mitleid mit der Welt als "Teatro Grottesco", doch seine Figuren sind in ihrer Verstrickung in das menschliche Marionettentheater immer noch menschlich.
Auf Deutsch erschienen:
Das Albtraum-Netzwerk , Teatro Grottesco , Die Sekte des Idioten , In einer fremden Stadt, in einem fremden Land.
Leider allesamt nicht wirklich gut zu bekommen, Englischfans seien auf jeden Fall auch wegen der schönen Sprache Ligottis die Originale anempfohlen.
Große Literatur, heute noch ein Geheimtipp, philosophischer Schrecken für alle, die ausziehen, das Fürchten zu lernen. Empfehlung!
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Kommentare
danke
ist schon im leseplan!
wow!
leseplan! sowas sollte ich mir auch zulegen. bei mir gehts immer drunter und drüber. vielleicht wäre mal beschaffungsstopp angesagt! aber nein, das geht irgendwie auch nicht. verdammte sucht.
ok
ich habe auch keinen leseplan. vielmehr habe ich mir nur vorgestellt, wie ich mir alles von ihm besorge und lese ... soviel zu plänen 1