Unbekannte (?) Heldinnen I

Geht es Euch auch manchmal so: tausend Eindrücke gehen an einem vorbei, hundertmal gehörte Lieder rauschen durch die Gehörgänge, ohne bleibende Eindrücke zu hinterlassen - und doch: irgendwann, irgendwie, ohne ersichtlichen Grund packt einen irgendetwas, man schaut nach, was es damit auf sich hat, und findet ganz wundervolle Dinge - oder Menschen.

Malvina Reynolds
Mir so ergangen beim Titelsong der allseits bekannten Fernsehserie Weed; zugegeben, das Lied "Little Boxes" ist noch eines der einprägsameren unter den Titelliedern. Die leicht gewöhnungsbedürftige Stimme und der schnoddrige Vortrag des Liedes waren es, die mein Interesse geweckt hatten, ich hatte ins Blaue hinein auf eine junge Weird-Folk-Protagonistin im Hippiekleid getippt - Joanna Newsom singt ja so ähnlich. Die Wahrheit war dann aber sehr verblüffend:
 
Die Sängerin ist Malvina Reynolds, Jahrgang 1900 (!), eine ältere, nette Dame mit grauen Haaren und im 50er-Hausfrauen-Look, die in fröhlichen Liedchen über den Konformismus amerikanischer Vorstädte herzieht:

Malvina Reynolds

 And the people in the houses
All went to the University
Where they were put in little boxes
And they all came out the same.

(Little Boxes)

Und dann das Biographische: Jüdische Immigrantin aus sozialistischer Familie, Kommunistin, Doktor der Romanistik  (1938!) an der Universiät Berkeley, Sozialarbeiterin, Bürgerrechtlerin. Mache ihr das mal eine/r nach: mit 47 Jahren beschließt die Dame, man müsse die Gewerkschaftsbewegung doch mit Gesang unterstützen, beginnt zu komponieren und findet im fast zwanzig Jahre jüngeren Pete Seeger einen Bewunderer:
 
"Sie war damals 46 oder 47 und hatte wundervolle weiße Haare. Ich war 28. Ich erinnere mich, dass ich dachte: 'Oha, sie ist ja schon ganz schön alt, um jetzt erst anzufangen.' Aber ich hatte noch viel zu lernen: bald danach schrieb sie Lied für Lied!"
(Quelle: Wikipedia)

 
Seeger, damals schon der große Mann des Protestsongs, nimmt eben "Little Boxes" in sein Standardrepertoire auf - und weitere Interpreten ihrer Lieder folgen: Harry Belafonte, Joan Baez, Marianne Faithful und viele mehr - bis hin zu (ähem) Linkin Park, welche das Lied für die 3. Staffel von "Weed" gecovert haben.
 
 
 
Als die Gute 1978 verstirbt, ist sie längst eine Ikone des liberalen Amerika; sie hat buchstäblich hunderte von Lieder geschrieben, unter anderem für die "Sesamstraße". Das Wort "Ticky-Tacky" aus "Little Boxes" ist zum geflügelten Wort (für "mittelmäßige Gleichförmigkeit) geworden.
 

 
 

 

Kommentare

witzig

ich hatte die stimme im vorspann - der übrigens gemeinsam mit dem song mit das genialste an "weeds" ist - genau wie du eher einer bewusst auf alt machenden new-folk-frau zugeordnet.
apropos: mich verblüfft immer, mit welchen riesensäcken stoff die da hantieren. rauchen die das zeug im kamin, oder was?