Charlotte Roche: Feuchtgebiete. Dumont: 2008
Doch noch dieses Buch gelesen, obwohl ich mich zu Anfangs weigerte. Aber: Es ist gut.
18 Jähriges "versautes" Mädchen kommt ins Krankenhaus wegen einer verunglückten Intimrasur, und läßt sich auch gleich ihre blumenkohlartigen Hämmorhoiden rausschneiden. Im Krankenbett lernen wir recht viel über ihre Fetische, Ängste und Vorlieben (Avokadobäume züchten) kennen.
"Ich esse und rieche mein Smegma sehr gerne. Beschäftige mich, seit ich denken kann, mit meinen Muschifalten. Was man da so alles finden kann. Ich habe lange Haare, also auf dem Kopf, und manchmal verirrt sich ein rausgefallenes Haar irgendwie in meine Muschilamellen. Es ist auffregend, ganz langsam an dem Haar zu ziehen und nachzufühlen, wo es sich überall hingezwirbelt hat. Ich ärgere mich sehr, wenn dieses Gefühl dann vorbei ist, und wünsche mir noch längere Haare, damit ich länger was davon habe."
Abseits des provokativen Partes habe ich mich während des ganzen Buches gefragt, und das war auch der Antrieb es fertig zu lesen, wann denn nun diese junge Frau in die Psychiatrie eingeliefert wird.
Da erstens ihre Mutter sich und ihren kleinen Bruder umbringen wollte, und zweitens für sie das allerwichtigste ist, ihre Eltern wieder zusammenzubringen, und das meint sie gelingt ihr, indem sie länger im Krankenhaus liegt und ihre Eltern zufällig gemeinsam zu Besuch kommen. Für das rammt sie sich in ihre frische Wunde des Anus ein Metallteil des Bettes ein, und stirbt fast an ihrem Blutverlust.
"Es gibt noch eine Erinnerung, von der ich nicht sicher bin, ob sie eine Erinnerung ist. Ich komme eines Tages aus der Grundschule und rufe im Haus rum. Keiner antwortet. Also denke ich, keiner ist da. Ich gehe in die Küche, und da liegen Mama und mein kleiner Bruder auf dem Boden. Hand in Hand. Sie schlafen. Mein Bruder hat seinen Kopf auf ein kleingefaltetes, hellgrünes Abtrocknetuch. Der Herd ist offen. Es riecht nach Gas. Was macht man da?"
Ein verstörendes Buch, ein ehrliches Buch, eine Hommage ans Unhygienische - lesen und diskutieren!
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Kommentare
hämmorhoidenwälzer
ja, ich habs auch gelesen, erst gestern und ja, es provoziert! natürlich kann man jetzt selbstgebastelte tampons, keim-verbreitende praktiken auf öffentlichen toiletten und diverseste anal-fetische als gegenpiel zu den video tauglichen und immer perfekt gestylten, willigen und gutaussehenden mtv-gören sehen, dennoch: helen gibt sich sehr seicht, man erfährt kaum etwas über den schwelenden familienzwist und dass der titel des buches dann auch zu 90% dem inhalt entspricht, ist halt doch etwas dürftig
outgrossing
habs nicht gelesen, kenne aber die tendenz es "outgrossings", dh wer schreibt grausiger. auf anhieb fällt mir da matthew stokoes "cows" ein, das schlägt auch bret easton ellis etc. um längen - WIRKLICH ekelhaft, und ich bin nicht grad zartbesaitet. klar, dass die nette charlotte das ganze wohl von der mädchenseite her bearbeitet. hab sie in ein paar interviews recht kluge sachen sagen hören, und das aufbegehren gegen den weiblichen überhygiene-kult ist auch sehr sympathisch!
Also ich werd mir das Buch NICHT geben..
und zwar eher aus Zeigründen... allerdings amüsiert mich die Diskussion um das Buch hochgradig. Wie das Lottchen mit spitzbübischem (sagt man so?) Lächeln in diversen Talkshows sitzt und die Unschuldsmine zum vermeintlichen Skandal macht, ist einfach köstlich.
Wenn's dann noch solche reaktionären Drecksäcke wie Bild-Chefredakteur Franz-Josef-Wagner aufgrund des Buches [URL=http://www.bild.de/BILD/news/standards/post-von-wagner/2008/04/18/post-von-wagner-18-04,geo=4303470.html]mit der Angst kriegen[/URL], dann hat sie sich endgültig jegliche Legitimation erkämpft - unabhängig davon, wie gut sie nun schreibt. Meine Sympathien hat sie.
Und ich
war auf diesem Gebiet, was die Praxis anbelangt, natürlich wiedermal um jahrzehnte zu früh. :grin