Reality Cracking: Das Grauen dokumentieren.
Ein Mini-Essay zum Verhältnis von Schrecken und Dokumentation - und Realität und Fiktion.
Warum tut man sich Horror an? Mehr noch: Warum lässt man den Horror am liebsten immer noch näher an sich heran?Wo Gegner des Genres Desensibilisierung und primitive Sensationslust wittern, sehen die Freunde des harmlosen Schreckens ganz anderes: Experimentierfelder, sozialen Kommentar und die Konfrontation mit ganz anderen Ängsten als jenen auf der Leinwand. Eins lässt sich aber schlecht abstreiten: 90 % der Horrorfilme sind zum Fürchten. Allerdings wegen ihrer Qualität.
Mit "Blair Witch Project ", "Cloverfield " und "[REC] " hat sich aber im altehrwürdigen Genre des Horrorfilms in den letzten Jahren ein interessantes ästhetisches Feld aufgetan. Waren es in "Blair Witch Project", dem großen Vorreiter aus dem Jahr 1999, noch die Video- und Filmkamera (zwei Stück!) in den Händen ambitionierter Filmstudenten, die unabsichtlich dem doch eher metaphysischen Horror der endlosen Wälder verfielen, so beschränken sich sowohl die US-Big-Budget-Produktion "Cloverfield" (2008) als auch die spanische Low-Budget-Produktion "[REC]" (2007) auf eine einzige Kamera, die im Falle des amerikanischen Films 9/11 unter den Vorzeichen von Godzilla und im Falle des spanischen Kabinettstückchens die fast private Apokalypse zwischen Pandemie und Exorzismus aus der direkten Beobachterperspektive dokumentiert. Und weil "Cloverfield" von vornherein ein durch und durch amerikanischer Film im Zeichen der Achterbahn fürs MTV-Publikum geblieben ist, in dem es Helden, ein Liebespaar, tapfere Soldaten, geschockte Zivilisten und letztlich doch das Unsagbare in der Großaufnahme gibt, muss [REC], der deutlich subversiver und auch furchteinflößender ist, flugs fürs amerikanische Publikum adaptiert werden - ein US-Remake ist schon in der Mache. Auweia. weiterlesen
Seit "Blair Witch" hat sich einiges getan; nicht zuletzt haben YouTube sowie subjektive Berichterstattung aus den diversen Ölkriegen die verwackelten Kamerabilder ebenso wie die Berichterstattung zu 9/11 tiefe Spuren hinterlassen und ein anderes Gefühl für Ästhetik ermöglicht. Der Trend zum Realismus ist unübersehbar; waren es in "Blair WItch" oft stille Totalen, die die wachsende Verzweiflung ausdrückten, sind die neuern Filme von Beginn an einem Rausch aus Bewegung, Panik und Angst verfallen, wie er in "Blair Witch" dem letzten Viertel des Films vorbehalten ist. Hier wird bewusst keine Form geachtet, überträgt sich die Hektik und Panik nach jeweils kurzen Expositionen 1 zu 1 auf den Zuseher. Filmzusehern mit schwachem Magen kann deshalb "Cloverfield" nur bedingt empfohlen werden; wer schon beim Egoshooter-Zuschauen Kotzangst bekommt, wird hier garantiert seekrank. "Insofern ist CLOVERFIELD geprägt von der Prätention des Authentischen und der Spiegel einer höchst gegenwärtigen Bildbesessenheit, einer Besessenheit für Bilder aus scheinbar erster, subjektiver Hand", urteilt der böse verreißende Filmkritiker auf artechock film völlig zu Recht.
Vielleicht sollte an dieser Stelle auf Lars von Triers TV-Serie "Riget " ("Geister", 1994) hingewiesen werden; ein Jahr vor Dogma 95 , dem Manifest des neuen Realismus im Film, vermischte Lars von Trier das TV-Genre der Krankenhausserie mit okkultem Horror und dem neuen Anspruch, realistischer und unmittelbarer zu sein als der Mainstream. Mit Erfolg: "Riget" ist nach wie vor eine der unheimlichsten TV-Erfahrungen, die sich ihren Effekt auch dem langsamen Einbruch des SChreckens in Großmutters liebstes TV-Genre verdankt - mit den sattsam bekannten "Schwarzwaldklink"-Klischees entsteht eine trügerisch vertraute Atmosphäre, die immer mehr dem EInbruch des Horrors zum Opfer fällt. Wackelige Handkameras und "billige" Produktionsästhetik vermitteln auch hier einen Realismus, der das Unfassbare noch effektiver zur Geltung kommen lässt - eigentlich ein programmierter Tipp für eine lange Filmnacht, nur für starke Nerven.
Warum dieses Stilmittel der "Froschperspektive" gerade im Horror so effizient ist, scheint klar: Man ist mitten in der beklemmenden Situation, kann sich nur bedingt hinter die Figuren zurückziehen, denen etwas zustößt, das mit mir als Zuschauer nur bedingt etwas zu tun hat. Der dezidierte Realismusanspruch ist im Horrorfilm aber schon so etwas wie ein klassisches Element; das reicht von den Reportagebildern am Ende von "Night of the living Dead" über "Last House on the Left" bis zum Abu-Ghraib-inspirierten Folterporno à la "Hostel".
Dabei haben kleine Filme wie "Blair Witch Project" oder "[REC]" durchaus den Charme des Billigen, Selbstgemachten, Kammerspielhaften, mit unbekannten Gesichtern und Schockmomenten, die vor allem wegen ihrer Billigkeit subtiler sein müssen. Sobald, wie im Fall von "Cloverfield", das von J.J. Abrams produziert wurde, das große Geld fürs große US-Multiplex nachgeschüttet wird, wird aber leider auf derart unsympathische Weise geklotzt, dass eigentlich nur mehr von Ausverkauf der Idee gesprochen werden kann.
Man kann - und sollte! - sich dem Horror aus der Froschperspektive aber auch von literarischer Seite annähern. Ein Film, der erst 2010 abgedreht sein soll, könnte dem Thema "Realismus im Horrorfilm" eine interessante Variante hinzufügen. "World War Z" wird die Verfilmung eines recht speziellen Geschichtsbuchs von Max Brooks sein. "An Oral History of the Zombie War", so der Untertitel, nähert sich dem Zusammenhang von medialer Vermittlung und Horror von literarischer Seite. In acht "Augenzeigenberichten" liefern Überlebende der gerade mehr schlecht als recht überstandenen Zombokalypse ihren Ausschnitt eines Weltuntergangsgemäldes, das beklemmend und faszinierend zugleich ist. Mal sehen, wie Hollywood mit diesem Stoff verfährt; Alternative History, vor allem zu diesem Thema, wäre im Dokumentationsformat (wie zB hier vorgemacht) sicher interessanter als der xte Horror-Actionreißer Marke Hollywood.
Neben Max Brooks Buch gibt es natürlich noch weit literarischere Annäherungen an den Schrecken und das Dokumentarische. Mark Z. Danielewskis "House of Leaves" (zu Deutsch "Das Haus. House of Leaves") nimmt sich auf einzigartige Weise des Feldes zwischen Horror, Film, Literatur und Realismus an. Vielfach verschachtelt, stellt das Buch auf den ersten Blick eine wirre Materialsammlung an typografisch abenteuerlichen Manuskripten dar; es handelt sich dabei, so wird versichert, um die Aufzeichnungen eines depressiven, in der Halbwelt von LA lebenden Autors, der das - ebenfalls abgedruckte - Manuskript eines plötzlich verschwundenen Nachbarn bearbeitet. In diesem Manuskript wird, auf den ersten Blick durchaus filmwissenschaftlich, ein spektakulärer Dokumentarfilm sowie dessen durchschlagende öffentliche Wirkung beschrieben. Dieser Film wiederum zeigt, ganz im Stil der obengenannten Dokumentar-Horrorstreifen, die Expeditionen ins labyrinthische Innere eines einsamen Hauses, das auf unerklärliche Weise neue Zimmer, Kellerräume und schließlich endlos scheinende unterirdische Labyrinthe hervorbringt. EIn unheimlicher Ausgangspunkt, und Danielewski verwischt die Grenzen zwischen den Texten so lange, bis man sich als Leser die Frage stellen muss, ob man dieses labyrinthische "Haus der Blätter" nicht schlussendlich gerade selbst in der Hand hält.
Man sieht: Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zu verwischen, kann ganz schön unheimlich sein. Ob Friedrich B. Haase sich das so gedacht hatte?
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Kommentare
angst und störungen...
immer auch verlockend. vertrage sowas aber nicht immer. aber zum notfall gibt's ja passedan oder noch effektiveres. der text bestätigt aber auch mir, dass es sich immer wieder mal lohnt, einen blick in den abgrund zu werfen...
danke adminian