Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. Rowohlt: 2005

Es ist halt so eine Sache, wenn man nach längerem Hin und Her sich doch dafür entscheidet, einen Bestseller zu lesen, nur um dann wieder das eigene Vorurteil bestätigt zu bekommen, dass Bestseller einfach überschätzt werden. Leider ist es auch mit Kehlmanns "Vermessung der Welt" ähnlich.    

       

Die sehr interessanten Leben der beiden Wissenschaftler Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt  werden in diesem  Roman miteinander verflochten und am Ende zusammengeführt.

Der eine, ein Reisender, Naturforscher und Geograph, stürzt sich in die "neue" Welt des 19. Jahrhunderts und erforscht einfach alles. Pflanzen, Berge, Vulkane, Leichen und Selbstversuche  bestimmen seine wissenschaftliche Bandbreite. "Sie fuhren in den Orinoko ein. Der Strom war so breit, dass man glauben konnte, auf dem Meer zu treiben: Weit in der Ferne, wie eine Täuschung, zeichneten sich die Wälder des anderen Ufers ab. (...) Nach einigen Stunden entdeckte Humboldt, dass sich Flöhe in die Haut seiner Zehen gegraben hatten. Sie mussten die Fahrt unterbrechen; Humboldt saß im Klappstuhl, die Füße in einer Essigwanne, und zeichnete Karten des Stromverlaufs. Pulex penetrans, der gewöhnliche Sandfloh." (S.111)

Der andere, von Kindesbeinen an ein mathematisches Genie: "Büttner (sein Lehrer, Anm.) hatte ihnen aufgetragen, alle Zahlen von eins bis hundert zusammenzuzählen. Das würde Stunden dauern, (...). Später hätte Gauß nicht mehr sagen können, ob er an diesem Tag müder gewesen war als sonst oder einfach nur gedankenlos. Jedenfalls hatte er sich nicht unter Kontrolle gehabt und stand nach drei Minuten mit seiner Schiffertafel, auf die nur eine einzige Zeile geschrieben war, vor dem Lehrerpult. So, sagte Büttner und griff nach dem Stock. Sein Blick fiel auf das Ergebnis, und seine Hand erstarrte. Er fragte, was das solle. Fünftausendfünzig. Was? Gauß versagte die Stimme, er räusperte sich, er schwitzte. (...) Darum sei es doch gegangen, eine Addition aller Zahlen von eins bis hundert. Hundert und eins ergebe hunderteins. Neunundneunzig und zwei ergebe hunderteins. Achtundneunzig und drei ergebe hunderteins. Immer hunderteins. Das könne man fünzigmal machen. Also fünzig mal hunderteins. Büttner schwieg. (...) Gauß holte Luft. Widerworte, sagte Büttner, und sofort setze es den Knüttel." (S.56)

Kehlmann, der in Wien lebt, vermischt Fakten und Fiktion und spricht den Protagonisten menschliche Gegebenheiten zu. Ein schnell lesbarer Roman, der in die Welt der beiden Wissenschaftler eintaucht, aber einen ein kleinwenig fahlen Nachgeschmack hinterläßt, da der eigentliche Höhepunkt bereits zu Anfang stattfindet, und nicht, wie erwartet, bei dem Zusammentreffen der beiden. Ein leichtes Lesevergnügen, das sich sehr schnell wieder verflüchtigt. 

Kommentare

rezensionen ole!

wow, ein spannender start ins neue jahr. hört sich nach einem verpflichtendem leseabenteuer an. wohl nach kehlmann als handfeste kost. ;-)

schonkost ade! ;)

ja stimmt, kehlmann ist eindeutig einfacher zu lesen, vor allem was die aussagen betrifft - da hab ich nämlich keine gefunden :roll

und überhaupt:

welcome nele! ist ja fast der tamtam-lesekreis hier. wie schon bei kehlmann-review kommentarisch erwähnt: neal stephensons "quicksilver" fährt mit gauß und humboldt schlitten.

danke fürs welcome!

...quicksilver ist derzeit in bearbeitung - allerdings nur, was das lesen betrifft. für ein review dauerts aber noch ein bisschen, bin erst bei einem fünftel der über 1000 seiten ;)

yes!

seh gut! bin selbst vor drei jahren im letzten viertel steckengeblieben, habs aber jetzt vor weihnachten - unabhängig von kehlmann - wieder ausgegraben. bei buchlandung gibt's übrigens die zwei folgebände (auf englisch) spottbillig.

Hi!

Schöne Renzension! :)
Wenn ihr schon Quicksilver besprecht, dann nehmt Confusion (Band 2) gleich mit.
Auf Englisch hab ich mich über Band 3 noch nicht drüber getraut, ist schon auf Deutsch nicht immer ganz einfach... ;)

rezensionsbedarf

na holla, die erwähnung von stephensons barock-zyklus stößt ja auf reges interesse - gut so! servus zia, kleine frage: "cryptonomicon", anyone?

Cryptonomicon

Servus, Cryptonomicon kann ich eine schreiben, allerdings ist es schon eine Weile her, dass ich es gelesen habe. Muss ich erst mal wieder reinschmökern.

sehr gern!

auf solche angebote komm ich gern zurück. ein geniales buch übrigens - vielleicht nicht das "gravity's rainbow of the information age", aber sicher eines der für mich besten bücher der letzten jahre. gib mir bescheid, dann mach ich dich mit freuden zum tamtam-"editor".