SF - Science Fiction, Social Fantasy, Sommerfreude
In vielen Kreisen outet man sich auch heute noch als Vollkoffer, wenn man seine Vorliebe für das schöne Genre der Science Fiction offen zugibt. In den meisten Köpfen spukt da außer Star Wars, Star Trek und Teenagerbegeisterung nicht viel zum Thema herum. Zu Unrecht - natürlich . Kleines Sommerspecial zu einer der wichtigsten und unterschätztesten Literaturgattungen.
UPDATE: Auch im MuseumsQuartier bestreitet man den Sommer mit SF. Ausstellung SCi Fi Stories: "Ausgewählte Themen und ein reichhaltiger Fundus an Bild-, Objekt- und Tonmaterial zum unerschöpflichen Thema Science Fiction im Freiraum." (Thx, stefan!)
Trotz des gewaltigen Fantasy-Hypes im Gefolge von "Lord of the Rings" (hier übrigens die geheimen Tagebücher der Tolkien-Helden) kann sich auch die SF in den Schmuddelecken der Buchläden recht gut behaupten. Wie so oft gilt aber auch hier: Viel ist Schrott, das meiste entbehrlich und die ganz guten Vertreter sind dünn gesät. Genauso im Kino: AUf einen guten kommen mindestens zehn grottenschlechte SF-Filme.
Mit tamtams Tipps für den SF-Sommer kann aber nix schiefgehen. Drei Tipps - ein Film, zwei Bücher - wer sich dafür zu intellektuell ist, verpasst was. >>
Bild: Die Technologie von morgen - schon heute.
Warum Science Fiction lesen? Weil gute SF immer etwas über das Menschsein auszusagen hat und längst nicht mehr für Kinder geschrieben wird. Weil einige der kreativsten Autoren des letzten Jahrhunderts im "Pulp-Genre" Science Fiction Essenzielles über das Leben an der Grenze von gestern zu morgen ausgesagt haben. Und: Weil's Spaß macht.
Drei Tipps für den SF-Sommer 2006.
Tipp 1: Philip K. Dick, "Der dunkle Schirm".
Für die Lesefaulen unter uns: Ja, es gibt da bald einen Film. Richard Linklater hat mit Keanu Reaves in der Hauptrolle einen der verwirrendsten Romane des großen Paranoiden der amerikanischen Literatur verfilmt - und es scheint, als wär's nicht schlecht gelungen. Große Themen wären ja genug drin verpackt: Überwachungsstaat, Drogen, Aktionismus vs. Slackertum. Trotz oder wegen der gewagten Optik sollte man sich den Film wohl nicht entgehen lassen, noch besser aber: das Buch lesen. Vor allem, da anscheinend noch überhaupt nicht so ganz klar ist, wann der Film denn bei uns überhaupt zu sehen sein wird.
Also: einfach in der günstigen Neuausgabe von Heyne kaufen und ab geht der Trip. "Der dunkle Schirm" (Originaltitel: "A Scanners darkly") erfüllt so ziemlich alle Ansprüche, die man an gehobene SF stellen kann. Und jeder, der schon mal in die ungefähre Nähe von bewusstseinserweiternden Substanzen geraten ist, wird bei der Lektüre einige witzige und andere haarsträubende Deja-vus erleben. SF als Drogentrip an der Grenze des Wahnsinns der Normalität.
Tipp 2: China Miéville - Science-Fantasy-Horror-Steampunk-Anarchism
Ist es SF? Ist es Fantasy? Oder knallt uns der originell benamste Brite China Miéville in seinen opulenten Romanen gar das europäische 19. Jahrhundert in einem unglaublich kreativen und erstaunlichen Paralleluniversum um die Ohren? Gerade die Unsicherheit der Schubladen macht alle Werke des jungen britischen Autors lesenswert. Wer mit Fantasy Elfe und Zwerge assoziiert, kriegt in der Bas-Lag-Trilogie "Perdido Street Station", "The Scar" und "Iron Council" eine ordentliche Kopfwäsche. Cyberpunk meets Horror meets Fantasy meets Klassenkampf - und all das in der (im Original) wunderschönen und opulenten Sprachwelt eines klassischen Abenteuerromans.
Kein Wunder, dass auch Marcus Hammerschmitt, einer der wenigen aktuellen deutschen SF-Autoren und Journalist bei Telepolis, die Werke des jungen Autors in den höchsten Tönen lobt . "Wo (Miéville) mit Hilfe seiner enormen Phantasie und seines epischen Stils mühelos eine der typischen phantastischen Endlossagas von Band zu Band quälen könnte, bezahlt er den Preis dafür, ein politischer Kopf zu sein, und eine Literatur politisch aufzuladen, die sich von Haus aus eher an Leser mit reinen Unterhaltungsbedürfnissen richtet. Wenn man so will ist das, was er macht, Surrealismus im Dienst der Revolution, aber nicht als bloßes Manifest, sondern in Form eines gelingenden phantastischen Romans. Dafür verdient er großen Respekt."
Indeed. Wer irgendwie kann, möge das (nicht gerade einfache) englische Original lesen; auf Deutsch wurden ärgerlicherweise jeweils zwei Bücher aus einem gemacht. Ein Trost: Eva Bauche-Eppers' Übersetzung von "Perdido Street Station", zweibändig als "Die Falter" / "Der Weber"erschienen, hat den Kurd-Laßwitz-Preis für die beste Übersetzung des Jahres 2002 gewonnen.
Tipp 3: Alastair Maclean - Space Opera für fututologisch orientierte Soziologen
Die Weltraumoper - unendliche Langeweile. Kein Genre der SF scheint so ausgelutscht wie die große Form der Weltraumerforschungssagas a la "Star Trek". Der Waliser Alastair Reynolds, gelernter Astronom und früher bei der ESA tätig, hat es dennoch geschafft, dem ausgelutschten Genre neues Leben einzuhauchen. Kein Wunder, denn bei ihm steht nicht die (wissenschaftlich offenbar halbwegs fundierte) Technologie im Vordergrund, sondern die Fremdartigkeit der Menschen einer Zukunft, die mit unserer Gegenwart nur mehr wenig gemein hat. Wie verändert sich die Psyche einer Gruppe von Raumfahrern, die durch die Zeitdilation auf Reisen nahe der Lichtgeschwindigkeit unendlich viel langsamer altern als die Bevölkerung der Planeten, zu denen sie reisen? Wie weit kann ein Mensch "verbessert" werden, und immer noch Mensch bleiben? Ist Religion ein sozialer und biologischer Virus?
Hier wird nicht gekleckert: Die Maßstäbe sind groß, als Astronom hantiert Reynolds mit Jahrmillionen. Besonders in Band 1 seiner vier Bände umfassenden "Amarantin"-Geschichte (im Bild) überrascht er zudem mit einer komplex die verschiedenen Zeitebenen verschachtelnden Ezählweise und einer Story, die mit überraschend vielen weiblichen Hauptfiguren und herrlich ambivalenten Charakteren aufwartet. Wie sagt Herr Hammerschmitt auch dazu so schön: "Reynolds weiß um reale Macht-,Geschlechter-, und Wirtschaftsverhältnisse, weiß um die Bedeutung von Technologien, Religionen und Ideologien für die Gesellschaften, die sie hervorbringen, und das macht seine Erzählungen so plastisch wie "realistisch"."
Und außerdem: Falls es heiß blebt - im All ist's kühl.
Epilog: Dass wir alle schon heute in der Welt der SF leben, wurde mir neulich bei einer MR-Untersuchung wieder mal bewusst. Leute, verstaucht euch die Knie und ab ins Rudolfinerhaus: Das dortige Gerät (keine Röhre, sondern eine sehr futuristische Sandwichkonstruktion - gibt's nur zweimal in Österreich) macht bei der 15-minütigen Untersuchung derart schönen, abstrakten und höllisch lauten Minimal-Ambient-Noise-Trance, dass man es echt nicht derpackt. Ohne Scheiß!
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Kommentare
tollre antigravitationsmaschine...
... muss ich doch glatt die liebe Hemma fragen, ob ich mal toast auf den rücken ihrer Katze binden darf :grin :grin :grin
Ausstellung im Muqua
http://www.mqw.at/fset_de.html
und wer, verdammt noch mal, geht mit mir zum giger?
wie ich mich kenn, versaum ich ihn glatt no... auch wenn's noch bis zum herbst dauert. typischerweise seh ich von sachen, die ich unbedingt anschaun wollte, dann im treffpunkt kultur den finissagenbericht. also: wer wer erbarmt sich meiner?
Sci Fi Stories im MQ
sorry, stef, giger hat sich bei mir schon ergeben, aber die SF-sache im MQ könnten wir nächste woche vormittags mal angehen!
mir 'fehlt' der Giger auch noch...
...und mir gehts wie dir... komm meistens dann drauf etwas anzusehen wenn's vorbei ist...
also gehn wir doch zum giger... aber es wird noch ein bizzi dauern ... ;)