Rocko Schamoni: Dorfpunks (Rowohlt 2004)
"Kurz vor meiner Konfirmation schnitt ich mir die Haare mit einer Nagelschere ab. Mein Entschluss war klar: ich musste Punk werden. Ohne eigentlich wirklich etwas darüber zu wissen - es gab zwei Bravo-Artikel und die vage Ahnung, wie cool man als Punk sein würde -, fällte ich diese Lebensentscheidung. Ich war vierzehn. Meiner Mutter liefen stumme Tränen über die Wangen, als sie meine Frisur sah. Mein Haar sah aus wie ein abgewetzter, räudiger Federball, überall waren Löcher bis auf die Kopfhaut geschnitten. Dazu trug ich alte Schlafanzughosen, Bundeswehrstiefel und zerissene T-Shirts. Ich war ein Schandfleck für unser Dorf."
Schleswig-Holstein 1976. Rocko Schamoni beschreibt in seinem semi-autobiographischen Buch Dorfpunks wortgewandt und außerordentlich witzig den Einzug von Punk in sein Heimatdorf an der Ostsee und seine eigene Verwandlung vom Lehrerkind in Roddy Dangerblood - einem SH-Punk.
Kühe, Mopeds, Mädchen, die obligatorische Landdisco und eine Kindheit voll von erkämpfter Selbstbehauptung. "Ich besaß eine stattliche Anzahl an Messern, eine Machete, Pfeil und Bogen, eine selbstgebaute Armbrust, und mein Trumpf war ein Morgenstern, bestehend aus einem dicken Ast, an einer Kette und einer Metallkugel am Ende. Als mein Bruder eines Tages nach Hause kam und mir erzählte, dass die Scharnbeck-Brüder ihn mit Pfeil und Bogen beschossen hätten, brauchte ich nur die Mitte der Dorfstraße herunterzugehen und und den Morgenstern hinter mir lasziv auf dem Pflaster schlorren zu lassen. die Situation war ohne Einsatz von Waffen sofort bereinigt, ich hatte waffenmäßig gepeakt. Fett." Erste Besäufnisse mit zwölf.... "Ich sah das erste Mal in meinem Leben doppelt und taumelte nach Hause. Auch diese wunderbaren Doppelbilder werde ich nie vergessen, ich war sehr stolz damals. So musste das Erwachsensein sein: Stereo." Die Begegnung während des Schüleraustauschs in Südengland mit Punkfreunden: "Wir hingen also am Flussufer rum und tranken Martini aus der Flasche. Irgendwann sahen wir einen Trupp kurzhaariger Typen mit Springerstiefeln durch den Park laufen und winkten sie fröhlich zu uns rüber. Es waren englische Skinheads. Wir wussten nicht, was Skinheads sein sollten und hielten sie für Punks mit besonders kurzen Haaren (...) Wir hatten ja keine Ahnung von dem bescheuerten Nationalstolz der Engländer. Sie fingen wie auf Kommando an, uns zu bespucken, zu treten und zu ohrfeigen. Wir waren total perplex. Was war denn jetzt auf einmal los? Was waren denn das für ungeile Punks?..."
Später Exzesse über Exzesse, wie z.B. beim Roskilde-Festival: "Killing Joke sollten spielen, The Alarm, Lou Reed, Iggy Pop und viele mehr. Auf einer großen Wiese ergatterten wir zwischen tausenden anderen Rockzombies einen engen Platz, stellten unsere Gewebehülle auf und begannen sofort und eifrig mit der Einnahme von Alkohol. Dann gingen wir auf Exkursion über das Gelände (...) Die Aufregung schlug mir derart auf den Magen, dass ich mich übergeben musste und ins Zelt wankte. Ich schlief ein paar Stunden, stand dann abends wieder auf; der Sound von Rock hatte mich erneut zum Leben erweckt. Ich schnappte mir eine verbliebene Flasche Reinhessen und überraschte meinen Magen, indem ich die erste Hälfte ex trank." Erste Drogenerfahrungen: "Wir gingen erneut in die Küche schon allein um uns zu bewegen und nach Ablenkung zu suchen. Die Formen der Möbel, des Kühlschrankes wuchsen, mäanderten. Inzwischen war meine Mutter von unserem Gepolter aufgewacht und kam die Treppe runter, um nach dem Rechten zu sehen. Sie betrat die Küche in Form einer länglichen Röhre mit lila Dreiecken am oberen Rand und der Frisur meiner Mutter.Die Röhre fragte mich, was denn hier los sei, ich müsse doch ins Bett, weil morgen wieder Lehre sei und so weiter, sie war augenscheinlich besorgt. Ich erklärte ihr, da ich sie am Klang ihrer Stimme erkannt hatte, alles sei in Ordnung, wir wollten nur noch spazieren gehen, wir seien noch nicht müde. Jammernd und wabernd verließ sie, mittlerweile mit grünen Streifen überzogen, die Küche durch ein amorphes Loch, welches ich normalerweise als Tür zum Flur kannte."
Und natürlich die eigene Band: "Wir trafen uns regelmäßig zum Proben. Unsere Musik war grauenhaft, denn außer unserem begeisterten Dilettantismus hatten wir nichts, weder Kraft noch Tempo, noch Eigenständigkeit. Wir wollten so klingen wie UK Subs. Warum weiß ich eigentlich gar nicht, ich hörte so gut wie nie UK Subs. Wir nannten uns Warhead, nach einem Titel der Band. Das klang cool."
Begegnungen mit den Goldenen Zitronen und den Toten Hosen inklusive liest sich der Rückblick auf eine Landjugend voller Systemzorn (wann gibts die T-Shirts) äußerst vergnüglich. Dorfpunks ist eines der witzigsten Bücher, das ich seit langem gelesen habe, ein Jungsbuch, welches auch Mädchen unbedingt lesen sollten. Rocko Schamoni betreibt gemeinsam mit Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen in Hamburg den legendären Golden Pudel Klub , Nährboden der Hamburger Schule und Mittwochs bereichert durch die Klubreihe "Die Kotze hat meine Jacke verklebt" - jawohl. Obwohl ja nicht viele in der Tamtam-Community früher mal Blumfeld gehört haben (einen kenn ich, der hatte sogar ein Blumfeld-Poster in seinem Zimmer hängen), finde ich, seit Jahren übrigens, wär der Klub alleine schon mal eine Reise nach Hamburg wert. Rocko Schamoni macht auch eine Tour und liest aus diesem ausgezeichneten Buch, aber leider nicht in Österreich, dafür schwärmen die Toten Hosen auf ihrer website (hat da der catch 17 & der admin eigentlich was mitdesigned?) für den Roman. Lesen.
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Kommentare
...toller beitrag...
thanx 2 moriz - ist ein wirklich feiner beitrag und ist eine tolle geschichte... nun die die toten hosen haben ihre website ohne unsere unterstützung designt - aber das trotzdem ganz gut gemacht ;) - und jetzt versprech ich's auch noch - T-Shirts are comming soon...
kann deutsche literatur doch was?
war da bisher eher recht skeptisch, da meist die gleichung "je langweiliger, desto wertvoller" heilig gehalten wurde. ja, ich darf so was sagen, denn ich hab das studiert. es scheint aber auch mir altem literar-anglophilen, dass in den letzten jahren durchaus auch spaßiges aus deutschen federn erlaubt ist. klingt alles sehr witzig, schöne textbeispiele, berechtigter tadel (wegen shirts). muss ich mal lesen!