Steven Erikson: The Malazan Books of the Fallen

 Nach Tolkien und dem LotR-Hype schien es, als wäre ausgerechnet jene Literaturgattung, die die Fantasie im Namen führt, so hausbacken und vorhersehbar geworden wie sonst nur Rosamunde Pilcher. Gute Könige, böse Könige, Elfen, Zwerge, Drachen, erzböse Dämonenzauberer, die das Ende der Welt herbeiführen wollen: gähn. Kein Wunder, dass das Genre Fantasy einen ähnlich guten Ruf hat wie der "Bergdoktor", von genialen Eigenbrötlern wie Walter Moers einmal abgesehen. Gegen das, was die Fantasy an Infantilitäten anzubieten hat, lässt sich sogar das sonst auch nicht besonders gut beleumundete Nerd-Lieblingsgenre Science-Fiction noch als cool verkaufen.

Und dann fällt mir im Sommer in einem Second-Hand-Buchladen "Gardens of the Moon" von Steven Erikson in die Hände. Der Kanadier, der vor seiner Karriere als Autor akademisch in Archäologie und Ethnologie tätig war, schreibt fantastische Epik, die so tiefgründig, spannend und realistisch-komplex ist, dass wohl nur die breiteste Leinwand dafür ausreicht: Die Welt des Malazanischen Imperiums ist so differenziert, so vielfältig und zugleich so fantastisch, dass man als Leser sogar die gewohnt infantile Covergestaltung und die gewaltige Masse an Lesestoff in Kauf nimmt, um in eine Welt einzutauchen, die sich aus buchstäblich hunderten Standpunkten nur schrittweise enthüllt.   

Eine ungefähre Annäherung: Man stelle sich vor, ein Romanzyklus würde es auf sich nehmen, die Perserkriege des 5. Jahrhunderts vor Christus zu beschreiben, aus den verschiedensten Standpunkten erzählt, mit Einblicken in einzelne Stadtstaaten, Stämme und Religionen der Völker des antiken Asiens. Einen ähnlichen Maßstab legt Erikson, dem man seine Studienschwerpunkte in jeder Zeile abnimmt, an sein Mammutwerk, das im Sommer 2010 mit Band 10 abgeschlossen sein soll. Dabei ist jeder Band als abgeschlossener Roman einzeln zu lesen, die Protagonisten wechseln, es gibt keine Schwarzweiß-Malerei Gut/Böse und hin und wieder sterben liebgewonnene Charaktere überraschende, oft sinnlose Tode. Kein Wunder, dass einer der Reviewer mit Staunen anmerkte, dass Eriksons Welt so realistisch, komplex und düster ist wie unsere eigene. Eriksons Werk bringt das Genre der Fantasy mit der Innensicht des modernen Romans zusammen.

"There was no escape from what had been, from the images and remembered scenes that rose again and again, remorselessly, before the mind's eye. Every frail, mundane gesture of normal life had shattered beneath the weight of knowledge.Yet there was anger, white hot and buried deep, out of sight, as if mantled in peat. It had become the last fuel with any potency. And so we move on, day after day, fighting every battle with an unyielding ferocity and determination. We are all in the place where Lull now lives, a place stripped of rational thought, trapped in a world without cohesion." (Deadhouse Gates)

 Dabei zeigt sich Erikson als Humanist in Kriegszeiten: Seine gebrochenen Helden und Antihelden zweifeln, trauern, rebellieren, scheitern oder siegen und sehen sich als in den Rädern der Geschichte und ihrer Welt gefangen. Eriksons Sprache im englischen Original ist oft filigran, manchmal wuchtig, aber stets differenziert; statt hohlem Heldenpathos überrascht der Autor mit philosophischen Gedanken und Meditationen seiner Figuren über Sinn und Unsinn von Leben, Religion, Zivilisation und Geschichte:

"Look upon the ruined cities, the old roads. The past is all patterns, and those patterns remain beneath our feet, even as the stars above reveal their own patterns - for the stars we gaze upon each night are naught but an illusion from the past. Thus, the past lies beneath and above the present. This is the truth my shamans embrace, the bones upon which the future clings like muscle." (House of Chains)

 Trotzdem ist die Reihe weit davon entfernt, nur esoterische Märchenstoppelei zu sein: Spannender als Erikson erzählen nur wenige seines Genres. Was seine Welt jedoch von der oft erschütternd fantasielosen Konkurrenz im Regal abhebt, ist die unglaubliche historische und gedankliche Schärfe, die seine Bücher auszeichnet: Tribalistische Gesellschaftsformen zeichnet ein anderes Denken aus als merkantile, Armeen brauchen reale und gedankliche Logistik, Geschichtsschreibung ist ein politischer Vorgang. Somit zeigt Erikson nicht nur eine, fantastisch erdachte Welt, sondern auch, wie diese Welt von verschiedensten Standpunkten wahrgenommen wird.

"Feather Witch said that every act made was a prayer, and thus in the course of a day were served a host of gods. Wine and nectar and rustleaf and the imbibing thereof was a prayer to death, she said. Love was a prayer to life. Vengeance was a prayer to the demons of righteousness. Sealing a business pact was, she said with a faint smile, a prayer to the whisperer of illusions."(Midnight Tides)

Doch Vorsicht: Verwirrung ist vorprogrammiert. Wer mit Eriksons Debüt "Gardens of the Moon" beginnt, landet ohne Netz und doppelten Boden mitten in einer komplexen Welt, deren Regeln und Details sich erst nach und nach erschließen. Dieses Tappen im Dunkeln, dieses gradweise Erforschen macht einen der vielen Reize dieses Autors aus, der übrigens leider in den deutschen Übersetzungen angeblich viel von seinem Reiz einbüßt - you have been warned.Ein Überblick über die Bände bei Wiki, Amazon.

Empfehlung für literarisch verwöhnte Fantasten, die von Tolkien-Epigonen die Nase voll haben und auf Entdeckungsreise in ein düsteres, erwachsenes Schlachtgemälde von beispielloser epischer Breite gehen wollen. Perfektes Lesefutter für den Herbst - nicht von den Covers abschrecken lassen!

Kommentare

Feierei alder! heut abend dann bitte späße und keine raufhändel, gell? ;) alles liebe an beide von mir.

soooo

ein geiles foto

bussis

bussis an die geburtstagskinder!! alles alles gute! let s rock am freitag 8)

Die Zwei!

Happy Birthday an euch beide an dieser Stelle auch von meiner Seite!