Es ist eine akademische Verschwörungsposse, die D.C. Hillman an den Beginn seines amüsanten Sachbuchs "The Chemical Muse: Drug Use and the Roots of Western Civilization " stellt: Als er an einerr amerikanischen Uni seine Dissertation in Altertumskunde einreichen wollte, wurde ihm der Doktorgrad erst verliehen, als er einige "anstößige" Artikel daraus entfernte. Der Inhalt der von den akademischen Größen angefeindeten Kapitel findet sich nun in diesem Buch, das sich allerdings weniger an Akademiker als vielmehr an Interessierte jedes Wissensstands richtet.
Was nicht sein durfte, war Hillmans in vielen Beispielen belegte Aussage, dass die großen Zivilisationen der Antike, Griechen und Römer, ein selbstverständliches, um nicht zu sagen hyperentspanntes Verhältnis zu jenen Substanzen pflegten, die heute als Pfuigacks im jahrzehntelangen "War on drugs" mit heiligem Ernst verfolgt werden. Opium, Absinth, Pilze, Hanf sowie mannigfaltige Nachtschattengewächse zählten, den zahlreichen Quellen zufolge, zu alltäglichen Begleitern in Medizin und Alltag, dienten aber auch der Unterhaltung.
Warum uns diese interessanten Lehrinhalte nicht im Lateinunterricht vermittelt wurden, erklärt Hillman auch recht plausibel: Ebenso wie die deftigen pornografischen Stellen der Klassiker von den gelehrten Übersetzern im 18. und 19. Jahrhundert entschärft wurden, um das hehre Ideal der Antike nicht zu beflecken, haben die puritanischen Übersetzer auch die durchaus häufigen Verweise auf Drogen schamhaft unter den Tisch gekehrt. Bei näherer Überlegung stellen sich somit die bekannten Übersetzungen tatsächlich etwas krause dar: Warum etwa die tapferen Heloten ihren spartanischen Herren ausgerechnet, wie in den gängigen Übersetzungen behauptet, Mohnsamen in die belagerte Festung schmuggeln sollten, statt des zur Wundversorgung viel plausibleren Opiums, ist wohl tatsächlich eher der Prüderie der Übersetzer geschuldet als dem Heißhunger der ollen Griechen auf mohnbestreute Süßspeisen.
Auch für ein bisher eher als Bizarrität angesehenes Werk findet sich so betrachtet ein plausibler Popularitätsgrund: Die weit verbreitete Alexipharmaca des Nikander erklärte man sich bisher scheuklappig und recht naiv als Anleitung zur Abwehr von Giftanschlägen, doch bei erneuter Betrachtung zeigt sich, dass es sich dabei wohl eher um einen Erste-Hilfe-Leitfaden für Überdosierungen im Alltag gehandelt haben mag.
Alles in allem ist "The Chemical Muse" ein angenehm zu lesendes, amüsantes Sachbuch, das sowohl das Verhältnis der Antike als auch jenes der Gegenwart zur chemischen Welt in ein interessantes neues Licht stellt. Denn Hillman argumentiert auch, dass die Antike nicht trotz, sondern vielmehr wegen ihres intimen Umgangs mit bewusstseinsverändernden Substanzen zur Wiege unserer westlichen Zivilisation werden konnte - auch wenn diese Idee wohl nicht nur unseren Lateinprofessoren wiie Ketzerei erscheinen wird. Und das Cover ist sowieso top. Empfehlung!