Todeskitsch auf dem Dorfe: Josef Winkler, Superstar
Vielleicht mag es scheinen, dass ich hier dem Hype zugetan bin und alles, was mir begegnet, was ich lese oder ansehe, super finde. Dass dem nicht so ist, zeigt sich ironischerweise meist am besten bei Kunst aus dem eigenen Land. Mag sein, dass ich beruflich oder von meinem Studium geschädigt bin, aber leider zeigt sich immer wieder, dass justament das, was die höheren Weihen der deutschen Kunst erringt, mir auf die eine oder andere Art und Weise mächtig auf die Nerven geht. Aktuelles Beispiel: Josef Winkler, Büchnerpreisträger 2008, und sein mir aktuell in die Finger gelangtes Werk "Leichnam, seine Familie belauernd".
Der Titel ist leider bei weitem das Beste an dem Buch, das aus knapp 100 Prosaminiaturen besteht, die sich mit des Autors Lieblingsthemen befassen: dem Tod und der stickigen Enge seiner Kärntner Dorfheimat sowie des ganzen Landes Österreich. Grundsätzlich wäre daran ja überhaupt nichts auszusetzen - im Gegenteil. Auch sprachlich erfreut der Autor mal mehr, mal weniger - was jedoch die Lektüre zwider macht, ist die einfältige Ausschließlichkeit der Thematik.Wer auf Existenzialismus hoffte, bekommt hier nur die intellektuelle Geisterbahn. Dieses Buch zumindest ist in etwa so tiefgründig wie ein Totenschädelaschenbecher.
Es ist - mit Verlaub - postpubertärer Todeskitsch, der hier abgesondert wird, vorgebracht mit dem schnell langweilenden Trotz des sich unterschätzt fühlenden Gymnasiasten, der "jeden Tag über Selbstmord nachgedacht" hat und sich schuldig fühlt, wenn er einmal einen Tag drauf vergessen hat. Es ist vielleicht Kärnten geschuldet, dass sich Winkler voll kindischem Stolz ausmalt, wie ihm die verhasste Dörflergemeinde einmal "aufs Grab scheißen" wird, weil er ach so anders (homosexuell), ach so unangepasst ist. Es ist vielleicht tatsächlich eine Leistung, dieser geistigen Enge überhaupt etwas abgetrotzt zu haben, aber irgendwie erinnert das oft allzu sehr an die Pose einer xbeliebigen Heavy-Metal-Jugendband aus Grammatneusiedl.
Klar, dass der Autor im Buch sich auf einem Friedhof fotografieren lässt; ebenso klar, dass er als Reiseskizze aus Indien hier eine ellenlange faszinierte Beschreibung der Ghats am Ganges, also der Leichenverbrennungen, einbindet. Das wäre an sich alles nichts Verwerfliches, aber erschließt sich hier zumindest doch nur als Pose, als Neuauflage der Faszination der "scheenen Leich", nur dass die Leich bei Winkler stets schiach und genauso bitterdumpf böse ist wie die untoten Lebenden, die man lieber als Thomas-Bernhard-Figuren sähe - dann wären sie zwar noch böser, aber wenigstens literarisch vital.
Warum, so frage ich mich häufig, herrscht in der deutschen "Hochkultur" diese grausame Angst vor jedem Humor? Tod und Dumpfheit der Lebenden werden ja überall auf der Welt zu Kunst verarbeitet, aber nirgends mit einer derart verbissenen Grauslichkeitsromantik.
Und nein, mich stört hier beileibe nicht die Grauslichkeit - die ist so radikal nicht -, sondern diese langweiliige Romantisierung des Ekels, diese Instrumentalisierung des vermeintlich intellektuellen Schockeffekts, dieses bemitleidenswerte Protzen mit der Provokation in Bezug auf die stets aufs Kleindörflerische schielende geifernde Öffentlichkeit, die man mit derlei famos ärgern kann. Fiktiv der Nachbar, der Winkler aufs Grab schisse: Bei aller plakativen Intellektuellenpose kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Winkler bei all seinem Verstörenwollen, bei all seinen programmierten Entgleisungen und letztlich unoriginell-absichtsvollen Nestbeschmutzungen ja wahrscheinlich - eine zugegeben gemeine, aber naheliegende Unterstellung - nur Aufmerksamkeit und Anschluss sucht - und sei es bei jenem Intellektuellenpublikum, das sich hierzulande recht gern beim Caffe latte Schauermärchen vom dumpfen Leben des Durchschnittsösterreichers zuraunt (hallo, Ulrich Seidl!).
Wäre Winkler erst 17, würde er als Emo wohl auf MySpace seine teenage angst absondern, Tokio Hotel oder HIM horchen und mit schwarzem Lidstrich rumlaufen. Den Büchnerpreis bekäme er nicht. Traurige deutsche Hochkultur, die nur intellektuelle Arbeit, aber keine Lust gelten lassen will.Andere Sprachen haben dieses Problem nicht: Die angloamerikanische Literatur etwa besitzt bei aller Qualität in den meisten Fällen eine heitere Seite. Merke: Nur wenn's keinen Spaß macht, ist's Kunst.
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