Comics, vor 10 Jahren: The Invisibles
Mit den Graphic Novels der späten 80er-Jahre begann ein Comic-Boom, der nicht nur neue Leser anlockte, sondern auch den Autoren größere künstlerische Freiheiten ermöglichte. Nicht nur Alan Moore hatte sich nicht umsonst mit seinen US-Verlegern aufs Heftigste in der Wolle, auch Frank Miller und andere Kreative lehnten sich gegen das aus den 50ern stammende autorenfeindliche Regime der Comicverleger auf, das dem Autor einerseits enge Grenzen in Bezug auf Zensur auferlegte und sie andererseits quasi enteignete.
Der Schotte Grant Morrison war einer der ersten Comic-Autoren, der die Rechte an seiner Serie "The Invisibles" behalten konnte und weitgehende Freiheiten bei der Gestaltung hatte. Diese Freiheitenwurden auch weidlich ausgenutzt, denn Invisibles, bestehend aus insgesamt sieben Bänden , sprengt alle Regeln, die dem Medium gerade erst auferlegt worden waren.
Sex, Revolution, LSD, Weltverschwörungen, Mystik und ontologischer Terrorismus - mit "The Invisibles" zeigte sich Morrison nicht nur als Reality Cracker, sondern auch als würdiger und in seiner Konsequenz einziger Erbe des großen William S. Burroughs . Und: "The Invisibles" kann getrost als eine der stets verschwiegenen Hauptinspirationsquellen für die interessanteren Ideen des Films" Matrix" gesehen werden.
(Ein Klick aufs Bild führt zur großen Version; Covergalerie hier .)
Es ist schwierig bis unmöglich, die Handlung der Serie kurz wiederzugeben. Die Hauptfiguren sind - man muss es so sagen - Terroristen, die mit allen Mitteln gegen eine schattenhafte mentale, okkulte und politische Weltverschwörung ankämpfen - bis zum Ende der Welt, das 2012 in einer anderen Apokalypse erfolgt, als man annehmen könnte. Und dass die Realität nicht das ist, wofür sie gemeinhin gehalten wird, wird von allen möglichen Seiten untermauert.
Die Mittel zur Bekämpfung der extradimensionalen Puppenspieler, die die Menschheit seit Urzeiten versklaven, sind vielfältig: Neben handfesten Schießereien, die auch Quentin Tarantino zur Ehre gereichen würden, kommen mystische Initiationen, halluzinogene Astral- und Zeitreisen, Voodoo, transzendentale Meditation und Schamanismus zum Einsatz.
Klingt alles zu viel? So soll es auch sein. Morrison verfolgt nichts weniger, als das Bewusstsein der Leser zu ändern; wie Burroughs' Literatur ist "The Invisibles" selbst ein Halluzinogen. Mit leichter Hand folgen LSD-Trips auf Linguistik, hedonistischer Pop auf profunde Weisheiten, Magie auf Politik. Die Lektüre ist ungelogen ein seltsamer Trip.
Dabei kratzt Morrison auch immer haarscharf die Kurve, wenn die Sache in Esoterik-, Okkultismus- oder Anarchiekitsch abzugleiten droht: Seine Helden sind sich ihres Revolutionspathos, ihrer Pophaftigkeit und ihrer eigenen Fragwürdigkeit durchaus bewusst, sind selbstironische Post-Post-Postheroes mit Popstarappeal und einem Zen-mäßigen Augenzwinkern.
Allein die Personage der Serie zeigt den Irrsinn, der hier darauf lauert, dem Leser die Realität unwirklich und die Welt real werden zu lassen: Es gibt Auftritte des Marquis de Sade, die Apotheose von John Lennon, eine brasilianische Transvestiten-Wicca, zeitreisende Wahnsinnige, den möglicherweise zukünftigen Buddha, Dämonen aus der aztekischen Hölle Mictlan, insektoide Handlanger mechanistischer und von Lovecraft weiterentwickelter alter Götter und und und.
"The Invisibles" zu lesen ist kurzweilig, spannend und verwirrend. Wie Burroughs packt Morrison seine Aussagen geschickt in abenteuerliche Handlungen, die auf verschiedenste Weise die Suche nach persönlicher, spiritueller und politischer Befreiung zum Inhalt haben.
"The Invisibles" hat alles, was man vom Popmedium Comics erwarten kann: Gewalt, Sex, einzigartige Figuren, Monster, Götter, Drogen - und verschiedenste Erleuchtungen, die mit dem fiesen Grinsen Grant Morrisons immer selbstironisch, intelligent und mit mindestens zwei noch hinterfotzigeren Metaebenen gespickt sind.
Ein Juwel der phantastischen Popliteratur, Philosophie-Trash und wilder Headtrip mit Tiefgang. Eigentlich eine Klasse für sich. Reality Cracking vom Allerfeinsten.
DIe Serie in der richtigen Reihenfolge: "You Say You Want A Revolution","Apocalipstck", "Entropy In The UK", "Bloody Hell In America", "Counting To None", "Kissing Mr. Quimper", "The Invisible Kingdom".
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