tamtam gaming: Dwarf Fortress

Dwarf Fortress. Vor kurzem habe ich in einem Artikel für Telepolis versucht, die Faszination dieses Spiels zu beschreiben. DF ist Nerd-Crack, leider. Die Grafik, die unintuitive Steuerung und die berüchtigte Lernkurve (eher: Learning Cliff) halten die allermeisten Spieler davon ab, sich daran zu versuchen.

Es sieht aus wie eine Tabellenkalkulation anno 1989 und steuert sich wie ein Kernkraftwerk 1978. Dahinter aber tut sich die Zukunft des Spielens im 21. Jahrhundert auf. Ehrlich: An den Ideen von Dwarf Fortress muss sich die zukünftige Welt des Spiels in den nächsten zehn Jahren erst messen. Denn DF lässt alle Freiheiten und erzählt immer neue Geschichten und Anekdoten.  weiterlesen

Kürzlich wurde mein Bürgermeister Aban Kodolin wahnsinnig. In einem Anfall blinder Wut verletzte er ein Haustier, das sich in die große Halle verirrt hatte. Das bedeutet Strafe, das Gesetz gilt für alle; doch in blinder Wut schlug der Bürgermeister, der einer der Gründer dieser Festung und ihr legendärster Bergmann war, eine junge Rekrutin der Festungswache, die ihn zum Antritt  seiner Strafe in den neu erbauten Kerker abführen wollte, mit wenigen Faustschlägen tot.

Jetzt vegetiert er in der Zelle, attackiert besuchende Kollegen, wirft seine Kleidungsstücke umher und zerstört die Möbel. Zon Zolthan, der Tischler, hat seine Aufgaben vorübergehend, bis zur nächsten Wahl, übernommen.

Dwarf Fortress ist ein Terrarium, eine Ameisenfarm, deren Geschicke man leitet. Die bescheidene AI der Zwerge  ist eine eigene Herausforderung, doch DF  lässt seine  Figuren durch außergewöhnliche Charakterisierung lebendig werden; ein Screenshot sagt mehr:

Man sitzt vor dem wuselnden Ding und staunt. Man verfolgt seine Zwerge bei der Arbeit, gibt ihnen neue Aufgaben. Man plant: eine Bewässerungsanlage, neue Räumlichkeiten, eine Pumpenanlage, neue Verteidigungsanlagen, komplizierte Fallen. Man trainiert Wachhunde, betreibt Ackerbau, versucht der wachsenden Katzenschar Herr zu werden.  Man setzt seine Festung aus Versehen unter Wasser, oder schlimmer noch: unter Lava. Man verhungert, weil die Händler auf dem Weg von Tieren angegriffen wurden und schon zwei Winter nicht kommen. Man stöhnt über ankommende Einwanderer, die verköstigt und beherbergt und beschäftigt werden müssen. Man erträgt die Kapriolen der einwandernden Adeligen, die Sonderwünsche über Sonderwünsche äußern. Man übersieht die letzte, nicht fertiggestellte Lücke in der neu errichteten Außenverteidigung und muss in den Korridoren seiner Festung gegen belagernde Trolle kämpfen. Man stirbt tausend Tode. Das offizielle Motto des Spiels? "Losing is fun." Und ja, es macht Spaß: Es gibt kein Spielziel, aber unendlich viele Möglichkeiten , zu scheitern. Und dann beginnt man von Neuem, mit neuen Ideen, bewährten Strategien und ausgefallenen Architekturideen.  Und jedes, wirklich jedes Spiel ist anders.

Die Zukunft des Spielens  liegt in Sandbox-Spielen wie DF, die es verstehen, in unendlicher Variation immer neue Herausforderungen zu generieren, und das auf mittlere Sicht im Massively-Multiplayer-Genre - und mit dieser Meinung bin ich nicht ganz allein. DF ist noch im Alpha-Stadium; ab der Beta soll es vielleicht mehr Grafik, aber sicher bessere Bedienbarkeit geben. Im Endeffekt soll das Spiel eine gesamte Welt mit Geschichte, verschiedenen Zivilisationen und dynamischer Politik werden - ein ehrgeiziges Ziel, das man dem Zweimann-Entwicklerteam aber nach dem bisher Gebotenen voll Ehrfurcht zutrauen kann. Die Brüder Zach und Tarn Adams arbeiten fernab aller Studios seit Jahren allein an dem Projekt; Zach hat vor etwa einem Jahr seinen Job als Mathe-Professor an einer texanischen Uni gekündigt und lebt seitdem von Spenden aus der DF-Community.

Wer einen Blick auf DF werfen will - und es zahlt sich aus -, sollte vielleicht eine bereits mit Grafiken vorgemoddete Version versuchen und unbedingt die ersten Schritte mithilfe des fantastischen Wikis unternehmen (Your first Fortress )

Ja, es ist schwer, die Außergewöhnlichkeit von Dwarf Fortress so zu kommunizieren, dass man sich tatsächlich rantraut. Aber es wird immer wieder versucht (hier , hier , hier , hier ...)  Wer spielaffin ist und eine im Endeffekt vielleicht ein bis zwei Stunden dauernde Einarbeitungszeit ins Interface nicht scheut, wird - ernsthaft ohne Übertreibung - mit einem der faszinierendsten Spiele belohnt, die es je gegeben hat.