Buchtipp: Arno Gruen - Der Wahnsinn der Normalität

Der in der Schweiz lebende Psychoanalytiker Arno Gruen gibt schon im Untertitel seines 1987 erstmals erschienenen Buches einen Hinweis auf die Antwort nach der Frage um die Herkunft des sogenannten Bösen im Menschen: "Realismus als Krankheit: eine Theorie der menschlichen Destruktivität". Jedesmal, wenn sich von Menschen ausgelöste Tragödien ereignen, wie etwa jüngst der Amoklauf an der Virginia Tech oder, in größerem Maßstab, Massenmorde wie etwa in Darfur, wird medial die fassungslose Frage nach den Gründen gestellt. "Der Wahnsinn der Normalität" versucht erfolgreich und vielschichtig, eine psychologische Antwort auf diese Frage zu geben.

Anhand vieler Beispiele aus dem klinischen Umfeld, aus der Geschichte (zweiter Welkrieg, Vietnam, Politik) sowie aus der Literatur zeigt Gruen in sehr angenehm lesbarem Stil die psychologischen Mechanismen, die von kindlicher Selbstverleugnung zu Selbsthass und Zerstörung führen. Diese Weltbilder neigen allerdings dazu, sich hierarchisch in Gesellschaften festzusetzen und ihren Wahrheitsgehalt als  Realität und eben Normalität zu bestätigen.  "Menschen, die Schmerz und Leid als nicht ertragbar von sich abgekoppelt haben, sind die Verfechter und Wächter eines Zerrbilds der Realität. Weil sie ihre eigene Schwäche [...] nicht ertragen konnten, verlegen sie sich ihr Leben lang auf den Erwerb von Macht und Besitz. Dieser "halluzinierte Besitz der Realität" wurde die verordnete Definition männlicher Stärke. Diese völlige Verkehrung der psychischen Realität ist so schwer zu durchschauen, weil diese "starken Männer", deren Lebensinhalt es ist, an der Macht zu sein, durch ihre Vorherrschaft auch das Bewusstsein prägen und festlegen, was als Realität gilt." Kein Wunder, dass so viele Psychopathen in den Chefsesseln sitzen - sie bringen alles mit - und legen weiterhin fest -, was man für den Aufstieg in diese Positionen benötigt.

Faszinierend in der Thematik, leicht zu lesen, erhellend in den von vielen Beispielen illustrierten Gedankengängen und schlüssig in der Argumentation, ist "Der Wahnsinn der Normalität" ein wichtiges Buch. Empfehlung.