Scamming the Scammers
Jeder Mensch, der zumindest einen E-Mail-Account schon gesehen hat, ist damit in Berührung gekommen, hat Anteil genommen an den unglaublichen Schicksalsschlägen, die, scheint’s, in Nigeria und anderen weit entfernten, meist fast gänzlich unbekannten Staaten an der Tagesordnung sind: Ständig sterben megareiche Magnaten, Präsidenten, Könige, Firmengründer, und wirklich jedes Mal vergessen die steinreichen Toten, ihr Erbe geordnet an die rechtmäßigen Empfänger zu übergeben. Ausnahmslos immer, so hat man den Eindruck, muss der umständliche Weg über westliche Unbeteiligte genommen werden, die sich nach E-Mail-Erstkontakt als Humanisten betätigen sollen, um mit kleineren, harmlosen Gefälligkeiten im Bankwesen dem rechtmäßigen Erben zu seinem sagenhaften Reichtum zu verhelfen. Natürlich nicht umsonst, nein: Für die freundliche Hilfe für die bedauernswerten Hinterbliebenen winkt immer eine großzügige prozentuelle Beteiligung.
Warum, so fragt man sich doch oft sinnierend, müssen die aber auch immer alles so kompliziert machen mit ihren Banken und dem Erbe, da unten – wo immer „da unten“ auch ist. Staunend konnte man vor einiger Zeit sogar in seinem Postfach erfahren, dass sogar arme Menschen aus dem Umfeld Saddam Husseins sich per E-Mail an Tausende westliche Adressaten wenden musste, um mit deren Hilfe auf die versteckten Auslandskonten des im Erdbunker sitzenden Präsidenten zugreifen zu können – die Welt, so scheint’s, ist so voller Ungerechtigkeiten, dass man als nächstenliebender Mensch mit E-Mail-Zugang einfach helfen muss. weiterlesen >>>>
Diese – zugegeben – inzwischen recht inflationär gewordene Geschäftsidee ursprünglich nigerianischer Schlaumeier, relativ begüterte Menschen im Westen mit der Hoffnung auf das schnelle Geld zu ködern, hat immerhin schon in den Zeiten vor E-Mail per Brief oder Fax Devisen in weniger entwickelte Länder gebracht. Angeblich war die mäßig trickreiche Betrügerei – nach dem nigerianischen Strafgesetz meist „419 scam“ genannt – zeitweise sogar die drittgrößte Einnahmequelle Nigerias. Im Sinne sowohl der freien Marktwirtschaft als auch der Evolution müsste man eigentlich nichts dabei finden, wenn intelligente Menschen ohne Geld dumme Menschen mit Geld davon überzeugen können, dass es für Letztere von Vorteil wäre, für den versprochenen Geldsegen „Advance Fees“ oder Ähnliches im Voraus an dankbare Empfänger zu überweisen, die – versprochen! – mit diesem Geld dann sofort das Riesenerbe bekommen und die Provision auszahlen würden.
Doch nein: Nicht nur, dass die Polizei in den letzten Jahren weltweit einige dieser recht groß angelegten Betrügerbanden aushob, inzwischen schlagen besonders gewiefte E-Mail-Empfänger im "Westen" mit den gleichen Waffe zurück und verwickeln die immer verzweifelter werdenden Möchtegernbetrüger in endlose E-Mail-Wechsel, lassen sich geniale Umwege und Ausreden einfallen, kurz: Man verarscht die Verarscher. So finden sich einige Communities , die sich mit Hingabe diesen oft monatelangen Minidramen widmen, wo sich die Angeschriebenen als willige Opfer präsentieren, sich aber immer im letzten Moment mit immer neuen haarsträubenden Ausreden davor drücken, die ersehnte „Arrangement Fee“ tatsächlich endlich zu überweisen. Die besten „Anti-Scammer “ haben es – Respekt! – sogar schon geschafft, dass die immer genervteren Pseudo-Erben selbst Geldbeträge an sie überweisen. Die überall geläufige Variante, die Scammer auf Fotos zu mehr oder weniger demütigenden Posen zu zwingen, bevor das Geld kommt, ist sowieso schon Standard.
Ist es Betrug, die Betrüger zu betrügen? Die Profis unter den Scammern werden’s verschmerzen: Die Dunkelziffer der Millionenbeträge, die jährlich von geldgeilen Gutgläubigen ins Nirvana überwiesen werden, können wohl nicht einmal annähernd abgeschätzt werden. Immerhin ergab eine britische Studie, dass jeder zwölfte (!) Internetnutzer bereits einmal auf Onlinebetrüger der einen oder anderen Variante hereingefallen ist.
Andererseits, und das trübt den Spaß, lässt die Begeisterung, mit der zugegeben doofe Möchtegernbetrüger in der Dritten Welt im Internet an den Pranger gestellt und lächerlich gemacht werden,oft ein bisschen zu sehr den präpotenten Schlaumeier auf Kosten ohnedies Benachteiligter raushängen. Ist das Rassismus? Nicht unbedingt. Aber die feixende Freude, mit der die doofen 419er vorgeführt werden, lässt die Gräben zwischen den Welten sicher nicht kleiner werden.
(Gekürzt erstveröffentlicht im November 2006 Telekom- & IT-Report.)
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