Alter Scheiß: Gary Numan
Höchste Zeit, dem Vater des Synthie-Pops endlich meine Ehre zu ehrweisen: Gary Numan ! Er war es, der 1979 mit mit seiner Band Tubeway Army quasi aus dem Nichts "Are 'friends' Electric?" auf Platz #1 der britischen Top 40 brachte und somit das gerade im Entstehen begriffene Genre des Synthiepop in die Wahrnehmung der breiten Masse hievte und sich selbst zum ersten Synth-Pop-Star machte. Zwar hatten bereits Kraftwerk 4 Jahre zuvor chartmäßig Achtungserfolge erzielt (allen voran mit "Autobahn": #9 in D, #11 in UK oder mit "Taschenrechner": #2 in I), aber selbst sie hatten ihre erste Nummer 1 erst 1981 mit "The Model" (in UK). Auch können Kraftwerk nicht wirklich als Popstars in engeren Sinne gesehen werden, dazu waren sie zu künsterlisch und maschinenhaft, zu unnahbar und unvermarktbar. Und jene Bands, man heutzutage typischerweise mit Synth-Pop verbindet (Depeche Mode, Human League oder Ultravox) waren gerade erst oder noch nicht mal gegründet). Numan war zwar auch kein Pin-Up-Boy - man sehe sich nur den Auftritt bei "Top Of The Pops" 1979 an - schien aber sowohl den Zeitgeist als auch clevere Marketingleute getroffen zu haben: Punk war schon wieder am absteigenden Ast und dabei sich zum Wave zu wandeln, Kraftwerk hatten die elektronische Revolution bereits in die Gänge gebracht, und Numan schien beide Genres glaubhaft und ansprechend zu verkörpern; noch ein wenig von Bowies Androgynität und Glam-Charme dazu - voilá! Das Pressen einer Limited-Edition-Picture-Disc und die Platzierung in britischen TV-Musik-Shows wie "The Old Grey Whistle Test" oder "Top Of The Pops" verhalfen dann dem Song, obwohl in Überlänge und ohne poppigem Refrain, zum Chartflug.
Begonnen hat Numans musikalischer Werdegang....>>>
Begonnen hat Numans musikalischer Werdegang 1977 mit der Band "Mean Street", damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Gary Webb. Erster Satz aus der Kurzbiografie im Booklet von "The Best of Gary Numan 1978 - 1983" (Beggars Banquet): "Gary formed his first Band, which eventually became Mean Street but only after a few months was 'sacked' for being, of all things, 'too creative', (...) because he was the only one who could sing and write songs." Selber Schuld... Anschließend traf er bei "The Lasers" Paul Gardiner, mit dem er gemeinsam "Tubeway Army" gründete. Damit war der Grundstein für die erste Erfolgsphase Numans gelegt, die allerdings bereits 1981 wieder bergab gehen sollte.
Die ersten Singles "That's Too Bad" und "Bombers" vom selbstbetitelten Debut-Album lassen die Punk-Roots noch durchklingen. "Down In The Park" und das bereits erwähnte "Are 'friends' Electric?" vom Album "Replicas " geben dann die hauptsächlich elektronische Richtung vor. "Replicas", "The Pleasure Principle " (beide 1979) und "Telekon " (1980) landeten allesamt auf Platz 1 der UK-Charts und bilden zusammen die sogenannte "Machine Trilogy". Sie enthalten Perlen wie die zwei bereits erwähnten Songs, aber auch "Me! I Disconnect From You", "We Are So Fragile", "Metal", "Cars", "We Are Glass" oder "I Die:You Die". Thematisch geht es dabei häufig um MenschMaschinen, um die Frage nach dem emotional-menschlichen in einer künstlich-maschinellen Welt; textlich wird oft - na wen wundert's? - Philipp K. Dick zitiert oder als Inspiration herangezogen. Kostprobe:
"A candle lit a shadow on a wall near the bed
You know I hate to ask
But, are `friends' electric?
Mine's broke down
And now I've no one to love."
Ausgestattet mit haufenweise Kohle, gesponsorten Wagen und seinem eigenen Flugzeug verschoben sich nach dieser Hochphase Numans Prioritäten. 1981erklärte er seinen Abschied von der Live-Bühne bekannt und füllte bei der Abschiedstournee dreimal hintereinander das Londoner Wembley Stadion. Das nach dieser Tournee erschienene 1981er Werk "Dance " war experimenteller, ambientlastigerund untanzbarer als die Vorgänger und auch nur kurz in den Charts. Die folgenden Jahre sind geprägt von ständigen Wechseln des Image und des Sounds, immer dem vermeintlich neuen Trend nacheifernd, und demzufolge nur von mittelmäßigem kommerziellen und künstlerischen Erfolg. Obwohl seine Alben und Singles konstant in den mittleren Rängen der Charts vertreten waren, war das Interesse der Klatschblätter größer als das der Musikmagazine: Seine Notlandung in Indien bei einem Round-The-World-Flug mit seinem Flieger und darauf folgender Anklage wegen Spionage oder die Verhaftung wegen Waffenbesitz waren diesbezüglich natürlich gefundene Fressen.
Künstlerische Anerkennung erreichte er erst wieder mit seinem 1994er Album "Sacrifice ", das nach den ersten Glanzjahren und der folgenden, über zehn Jahre dauernden Durststrecke die dritte, wieder erfolgreichere Schaffensperiode des Herrn Webb markieren sollte. "Sacrifice" und die darauf folgenden Alben "Exile " (1997), "Pure " (2000) und letzhin "Jagged " (2006) gaben zwar charttechnisch auch nicht mehr her als die Alben davor (#47, #58, #59 der Albencharts, "In A Dark Place" aus "Jagged" kam immerhin auf #4 der Indie-Charts), jedoch waren die Reaktionen von den Fachmagazinen, insbesondere jenen aus der dunkleren, wavigen, elektronischen Szene endlich wieder sehr positiv. Laut eigener Aussage folgte sein Songwriting nicht mehr kommerziellen Kalkülen (der Vorgänger "Machine + Soul" (1992) hatte nur mehr den Zweck, Schulden abzuzahlen), sondern ging "right back to the way I was when I was a teenager, first time writing songs, with all the enthusiasm for it". Die Songs wurden wieder dunkler, industrial-lastiger und agressiver durch den Einsatz teilweise ordentlich rockender, verzerrter Gitarren; auch spielte er erstmals praktisch alle Instrumente selber ein.
Sicherlich großen Einfluss auf die Wiederauferstehung hatten auch zahlreiche Statements bekannter Künstler und Bands, die Numan als großen Einfluß bezeichneten. Z. B. sagte Trent Reznor von NIN, dass er "Pretty Hate Machine" unter täglichem Einfluss von "Telekon" geschrieben habe, auch Marylin Manson bezeugte seine Bewunderung, und Afrika Bambaataa dass der Track "Films" aus "The Pleasure Principle" eine "important influence on the US Hip Hop Scene" (!) gehabt habe. Die Foo Fighters coverten 1995 "Down In The Park ", Fear Factory spielten 1998 zusammen mit Numan seinen Hit "Cars " neu ein, "Metal" wird 2000 von Nine Inch Nails und 2004 von Afrika Bambaataa gecovert, und Basement Jaxx verwursten den Riff von "M.E." auf "Where's Your Head At" 2002. Der wohl bekannteste Coversong aber kommt 2002 von den Sugarbabes mit "Freak Like Me ", ursprünglich ein Mashup von Richard X , bestehend aus der Synth-Line von"Are 'friends' Electric?" und dem Gesang von Adina Howard's "Freak Like Me" - und gaben gleichzeitig auch dem Mashen ordentlich Rückenwind .
Thematisch behandelt Numan in dieser Phase weniger die Probleme zwischen Mensch und Maschine, als vielmehr jene zwischen Mensch und Gott, und letzterer schneidet dabei gar nicht gut ab! Explizit atheistisch ist z. B. "Angel Wars" (aus "Exile"), sehr sarkastisch wirds bei "A Prayer For The Unborn" (aus "Pure") - eine bittere Abrechnung mit einem Gott, der dreimal eine Fehlgeburt zulässt... sofern er denn existiert ("I'd spit on your heaven if I could find one to believe in").
Fazit: eine Geschichte von schnellem Ruhm, tiefem Fall und reifem Wiederauferstehen. Aber auch die Geschichte eines großartigen Musikers, der der Welt viele tolle Songs hinterlassen hat (und hoffentlich noch wird) und der eine für mich absolut faszinierende Grenzwanderung zwischen glattem Pop und fragilem Elektro-Rock schafft. Und die Geschichte von einem Musiker der von sich behauptet , kein guter Musiker und Gitarrist zu sein, sondern lediglich Töne aneinanderreihen zu können. Well, das kann er gut!
Als persönliche Highlights und Anspieltipps seien euch die gesamte "Machine Trilogy", und da v.a. "Replicas" (mit den Songs "Are 'friends' Electric?", Me! I Disconnect From You", "Down In The Park" und "We Are So Fragile") ans Herz gelegt. Ich persönlich habe den größten Bezug zu "Exile", da dies das Album ist mit dem ich Numan kennen und lieben gelernt habe. "Pure" enthält auch einige Spitzennummern ("Pure", "A Prayer For The Unborn" und klingt zwar ähnlich düster, insgesamt aber metallischer als "Exile").
Mit "Random" erschien 1997 ein Tribute-Doppel-Album, das einige interessante Covers beinhaltet, u. a. von Moloko, The Magnetic Fields, EMF, Jimi Tenor, Dubstar und "Are 'friends' Electric?" in einer wunderbaren Piano-Gesang-Version von An Pierle. Die Best-Of "Exposure " gibt einen kompakten Überblick über sein Schaffen von1977 bis 2002: Weil es eine Best-Of ist, fehlen die Jahre 1982-1994 fast völlig (lediglich ein Track "Voix" von 1988). Schade, wenn man kurz und bündig Einblick in auch diese Periode kriegen will.
Webtipps:
offizielle Homepage
myspace-account (checkt die Songs und Videos!)
Fansite mit noch mehr Videos!
Artist Profile bei Wikipedia , Laut.de , Beggars Banquet, allmusic.com
Cars (1979): War der einzige Charterfolg in den USA, daher dort oft als "One-Hit-Wonder" belächelt...
Are 'friends' Electric? (1979) - live at Top Of The Pops
Down In The Park (1979)
That's Too Bad (1978) (live, irgendwann später...): die erste Single, es punkt noch ziemlich
A Dark Place (2006): die neueste Single
Und hier noch "A Prayer for The Unborn" (live, etwas anders als die Album-Version) und anschließend Interview für ARTE
- Anmelden um Kommentare zu schreiben