Manager allein im Wald
Was gibt es Schöneres, als seine Arbeitskollegen bei Motivationsseminaren in Extremsituationen kennen und lieben zu lernen? Doch auch hier trennt sich die Spreu vom Weizen, denn nur die originellsten, besten und härtesten Anbieter kitzeln noch das Letzte aus führungsmüden Managern heraus.
Als ich kürzlich am Wochenende einen ausgedehnten Spaziergang im Wald unternahm, staunte ich nicht schlecht, als ich plötzlich einem alten Bekannten begegnete. Mit neongelbem Trainingsanzug, cooler Sonnenbrille und einer Trillerpfeife um den Hals stand er an einer verlassenen Weggabelung im Wald und rauchte eine Zigarette, während er hin und wieder auf einer großen Stoppuhr die Zeit kontrollierte. Wir waren beide freudig überrascht über dieses zufällige Treffen, doch meiner Einladung in ein nahe gelegenes Gasthaus konnte mein Freund nicht nachkommen. „Leider“, winkte er ab, „geht jetzt nicht, wegen der Manager.“ Ich war zugegebenermaßen überrascht. Manager? „Sind im Survival-Team-Training. Gestern Nacht hab ich zwei Abteilungen in den Wald geschickt. Weißt du, vor drei Jahren hab ich bei der Landwirtschaftskammer vom Bauern zum Consulter umgeschult. Und seit zwei Jahren veranstalte ich Extrem-Erfahrungswochenenden und Motivationsseminare für Vorstandsgruppen und Managementabteilungen.“ Ich war verblüfft. Doch bevor ich noch näher nachfragen konnte, unterbrach mich ein verschwitzter, grauhaariger Mann im Tarnanzug, der mit lautem Schnaufen aus den Brombeerhecken auf uns zustürzte. „Mensch, Schneider!“, brüllte mein Freund plötzlich in einem derartigen Kasernenhofton los, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte. „Warum bist du wertlose Wanze nicht bei deinem Trupp? Los, rein in die Hecken, zack zack, wieder ab in die Wälder, deine lausigen Kollegen suchen!“ Mit fiebrigem Blick stammelte der Angeschnauzte ein undeutliches „Jawohl!“ und taumelte geradewegs wieder zurück in die dichten Dornensträucher. Langsam verklang das Rascheln wieder im Gebüsch. „Weißt du“, erklärte mein Freund mit entschuldigendem Ton, „diese Irren aus der Stadt ganz wild darauf, Extremsituationen zu meistern. Aber trotzdem, man muss immer etwas Neues anbieten. Vor zwei Jahren, als ich mit den Kursen begonnen habe, war das alles noch sehr herkömmlich. Du weißt schon: über glühende Kohlen gehen, auf Bäume klettern, Bergsteigen und so. Aber der Markt wird immer härter, und heute“ – mit einem breiten Grinsen klopfte er sich auf die Brust – „heute kann ich mit Stolz behaupten, dass ich der Anbieter der härtesten Motivationsseminare im deutschsprachigen Raum bin.“
Letztes Jahr, so erklärte er mir, während wir uns einen Schluck Selbstgebrannten aus seinem Flachmann genehmigten, habe er mit innovativeren Seminarideen begonnen. Mit uralten Hüten wie Bungeespringen oder Feuerläufen könne man heutzutage nicht einmal mehr die Mitarbeiter der popeligsten Werbeagenturen begeistern – doch mit unglaublichem Gespür für die Bedürfnisse der Managementeliten habe er das Konzept seiner Seminare revolutioniert. So behandle er von vornherein alle Teilnehmer gleich schlecht, vom Direktor bis zur Schreibkraft würden alle mit traditioneller bäuerlicher Grobheit angepöbelt. Und ebenso „erfrischend“ wie sein Charme wären auch die innovativen Inhalte seiner Seminare – vor allem, seit er die Idee gehabt hatte, immer zwei Gruppen aus konkurrierenden Firmen gegeneinander antreten zu lassen. So habe er mit großem Erfolg im letzten Herbst das Wochenendseminar „Lumberjack Challenge“ für führende Vorstandsmitglieder angeboten, in dem es darum ging, in seinem Wald in drei Tagen hundert Fichten zu fällen und zu Brennholz zu verarbeiten (Untertitel „Die Axt im Walde. Selbsterfahrung für Führungskräfte“). Zuvor war mit lebhafter Beteiligung führender Konzernabteilungen die „Potato Profit“ über die Bühne gegangen („Meditative Selbsterfahrung und symbolische Sammlung der verstreuten Ressourcen“), und im Moment sei „Mission: Mushroom“ der Renner: Zwei Teams, bestehend aus führenden Mitarbeitern der Managementebene, würden zwei Tage und Nächte lang im Wald ausgesetzt, um Pilze zu suchen („Kompetitives Outdoor-Survival – Problemlösung und Orientierung im Team“). Letztes Wochenende, so erzählte mir mein Freund voll Stolz, habe die Führungsebene zweier großer Telekomanbieters stolze dreißig Kilo Pilze abgeliefert. Die Ausfälle wären gering gewesen: leichtere Schürfwunden, zwei Unterkühlungen und ein blaues Auge, das ein Senior Sales Official einem Regional District Manager beim Kampf um zwei Geißhauben geschlagen habe. „Ich biete verknöcherten Führungsteams die Chance, gemeinsam durch die Hölle zu gehen“, grinste mir mein Freund verschwörerisch zu. „hier ist alles inklusive: ursprüngliche Unfreundlichkeit, primitiver Überlebenskampf, naturwüchsige Aggression und beinharter Wettbewerb in freier Natur. So viel Selbsterfahrung gibt’s sonst nirgends für nur tausend Euro pro Kopf.“ Nach diesen Wochenenden, so erzählte mir mein Freund voll Stolz, seien die Manager wie ausgewechselt. Wegen des großen Erfolges seines Klassikers „Kommando Kukuruz“ wäre er sogar dazu übergegangen, regelmäßig Teams von Motivationsseminaristen an benachbarte Bauern der Umgebung für die Ernte oder Holzarbeiten zu vermieten. Für nächstes Jahr, so verriet mir mein Freund im Flüsterton, plane er ein Extrem-Motivations-Psycho-Seminar nur für höchste Führungsebenen, das schon bereits jetzt voll ausgebucht sei. „Die Überwindung von Urängsten und Ekelgefühlen, die Befreiung des kreativen Kindes in uns und die Erweckung urvitaler Prozessreflexionen“ sei davon zu erwarten.
Nur der Titel sei noch unsicher, meinte mein Freund, als wir uns verabschiedeten. Denn „Senior Senkgruben-Samurai“ klinge womöglich doch zu reißerisch.
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