Staatsfeind Nummer eins
Jüngst, als ich in den verschneiten Wäldern nahe der Nervenheilanstalt Steinhof unterwegs spazieren ging, näherte sich mir ein Mann mittleren Alters in noblem Business-Anzug, aber mit leicht wirrem Blick, und überreichte mir mit einem verschwörerisch geraunten „Bewahren Sie meine Analyse auf, sie sind hinter mir her“ folgendes Manuskript. Danach verschwand er mit einem Hechtsprung in einer Brombeerstaude.
„Ich denke, wir alle wissen, was jeden Unternehmer behindert, was den reibungslosen Ablauf der makellosen Perfektion der Marktwirtschaft einschränkt, was erfolgreiches Wirtschaften oft so zäh und frustrierend macht: der Staat. Alle Analysen zeigen sehr schnell, dass unser Hauptproblem im Staat liegt, der sich mit seiner trägen Bürokratie, seinen belämmerten Vorschriften und seiner weinerlichen Scheinheiligkeit frech und unverschämt in alles Mögliche einmischt und einfache, ehrliche Unternehmer wie uns mit völlig absurden Forderungen überhäuft. Liebe Leserinnen und Leser, ich sage Ihnen, in Zukunft machen wir da nicht mehr mit! Die Zukunft gehört nicht dem lebenden Anachronismus eines Staates, der sich überall einmischt, sondern vielmehr dem Unternehmen, das selbstständig und autark ist und seine schützende Hand auf seine Mitarbeiter legt!
Der erste Vorschlag in meiner Langzeitstrategie, liebe Leserinnen und Leser, betrifft die lächerlich romantische und völlig überholte, beinahe möchte man sagen: stalinistische Idee der Pensionierung. Ein erster Schritt muss sein, allen Unternehmen als erstem Schritt hin zur Unabängigkeit vom Auslaufmodell Staat das Zusatzprofil eines aktiven Seniorenversorgers zu verpassen, denn wer sagt denn, dass ein junger Greis von 65 Jahren tatsächlich nichts Besseres zu tun hätte, als stumpfsinnig und auf Kosten unserer Pensionsbeiträge, die wir zähneknirschend Monat für Monat dem unfähigen Staat in den Rachen werfen, seinen dritten Herbst mit unproduktivem Nichtstun zu verschwenden? Wir Unternehmer hingegen stehen dazu, die Verpflichtung zu unseren Mitarbeitern bis zum bitteren Ende durchzustehen, solange diese fähig sind, eine Stechuhr zu bedienen!
Vorbei die Zeiten, in denen der Pensionsschock rüstige Achtziger in ein geisthemmendes Leben zwischen Taubenfüttern und Kaffeekränzchen verdammte, wir bekennen uns dazu, eine Familie zu sein, und wir schicken keine Familienmitglieder weg, nur weil sie alt oder katatonisch sind, das ist doch Ehrensache! Gegen die Direktüberweisung der staatlichen Rente erklären wir uns fürs Erste bereit, den Senioren weiterhin ein aufregendes, aktives Leben an ihrem Arbeitsplatz zu ermöglichen, auch für Unterbringung wird gesorgt sein, denn wie Sie wissen, stehen ja etliche Produktionshallen leer, seit wir verstärkt mit den Chinesen zusammenarbeiten. Die Synergieeffekte werden gewaltig sein! Doch auch für alle jüngeren Angestellten werden einige Änderungen in eine schöne, neue, leuchtende Zukunft ohne Staat weisen. Wir müssen daran gehen, große Modellstädte zu bauen, in denen wir unseren Mitarbeitern wunderschöne, rustikale Unterkünfte gegen einen angemessenen Mietbeitrag überlassen werden.
Da wird’s dann alles aus einer Hand geben, wir errichten dort Nahversorger, Unterhaltungszentren, eine eigene Verwaltung, ja, meine lieben Kollegen, wir werden, zur Stärkung der Mitarbeiterbindung und der Corporate Identity, sogar eine eigene Währung einführen, in der wir unsere Mitarbeiter weiterhin fürstlich entlohnen werden, mit der dann nach Herzenslust in unseren Läden eingekauft werden kann! Natürlich werden wir auch dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiter hier ihre Familien im bestmöglichen Umfeld aufziehen können, wir werden für die süßen Kleinen, die dann ab Geburt formell als unsere jüngsten Mitarbeiter aufgenommen werden, Kinderkrippen bauen, Schulen und Ausbildungsstätten, und sie so perfekt und viel besser als der Staat von Kindesbeinen auf eine Zukunft in unserem Unternehmen vorbereiten können! Natürlich müssten für diese aufwendigen und großzügigen Leistungen, die wir hier freiwillig nur für unsere Mitarbeiter erbringen, auch ein paar formale juristische Spielregeln geschaffen werden, damit unsere Investitionen in unsere Mitarbeiter nicht gefährdet sind. So können wir eine Abwanderung unseres Humankapitals nur dann ermöglichen, wenn eine angemessene Abgeltung für unsere Ausgaben vorgelegt werden kann. Aber wir könnten uns natürlich bereit erklären, überschüssige Arbeitskräfte in Zukunft etwa an unsere Mitbewerber zu vermieten oder zu verkaufen, oder sogar im Komplettset, ich sehe schon die Angebote, etwa ein Buchhalter oder ein Ingenieur gratis beim Kauf von zwanzig Monteuren …Unsere Mitarbeiter werden unser größtes Kapital sein …“
Hier brach der Text, den ich an jenem Tag im Park gelesen hatte, plötzlich ab. Nur aus weiter Ferne hörte ich, von makerschütterndem Kichern unterbrochen, einen immer wiederkehrenden Singsang durch den verschneiten Wald schallen: „Geht’s der Witschaft gut, geht’s uns allen gut, geht’s der Wirtschaft gut …“ Ich denke, er muss die Pharmabranche gemeint haben.
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