15 Minutes of Shame
Wunderbare Welt des Web: Noch nie konnte man sich so schnell so richtig schön zum Deppen machen. Weltweit!
Es hörte sich nach einer guten Idee an: In einer Branche, in der Image und Überzeugungskraft einen gewissen Stellenwert haben, kann’s nicht schaden, sich bei einer Bewerbung ins schmeichelhaft beste Licht zu rücken. Und nachdem das alle vorhaben, muss man sich auch was Besonderes einfallen lassen, um aufzufallen. Sportlichkeit ist immer gut, tiefgründige Lebensphilosophie kommt souverän – und dann der Übergag: Das Ganze verschickt man nicht als Präsentation oder langweilige Bewerbungsmappe, nein, als Video, komplett mit Intro, Musik und Interviewpose. Mit einer solchen Bewerbung müsste man eigentlich auch in der Welt der Hochfinanz punkten können, oder?
Als Andy Warhol seinen berühmten Satz von den „15 minutes of fame“ prägte, die in der Zukunft jedem Einzelnen zustehen würden, konnte er noch nicht ahnen, auf welche Weise sich seine Voraussage bewahrheiten würde: In Zeiten des Web 2.0 tingelt der Hype-Zirkus kontinuierlich durch die Welt, greift Obskures, Bizarres oder nur Allzumenschliches auf, veröffentlicht es binnen kürzester Zeit viral auf Millionen Blogs und kreiert somit Superstars mit Ablaufdatum – oftmals gegen den Willen der manchmal ahnungslosen Opfer. 15 Minuten mögen das wohl sein – aber oft sind es eher „15 minutes of shame“ und die Schadenfreude der ganzen vernetzten Welt schwappt über den Ahnungslosen zusammen.
Ebendies geschah mit Aleksey Vayner. Der Yale-Student bewarb sich im Sommer bei mehreren Wall-Street-Börsenfirmen, und weil die Konkurrenz groß ist, versuchte er sein Glück mit einem eigens gedrehten Bewerbungsvideo. Getreu der alten Bewerbungsweisheit, dass gar nicht zu dick aufgetragen werden kann, zog Vayner in dem siebenminütigen Promovideo alle Register. Nicht nur, dass man den gepflegt dröge dreinblickenden Jungmakler beim Beantworten subtil gestellter Fragen beobachten kann – etwa: „Wie schafften Sie es, zu so einer Inspirationsquelle für alle Menschen in Ihrer Umgebung zu werden?“ – und der Börsenphilosoph in spe tiefgründige Weisheiten zum Thema „Erfolg“ absondert („Wenn Du erfolgreich sein willst, ignoriere die Verlierer!“), nein, mehr noch: Der staunende Personalchef darf den Wunderwuzzi Vayner auch beim Tennisspielen, beim Stemmen schier unglaublicher Gewichte in der Kraftkammer, beim Trickjumpen auf Skiern, beim Sambatanzen mit einer dunklen Schönheit und sogar beim Zertrümmern von Ziegelsteinen mit der Handkante bestaunen. Mens sana in corpore sano – bei einem solchen Topbewerber, einem laut Selbstbeschreibung „CEO & Professional Athlete“, hätten doch binnen kürzester Zeit die Jobangebote nur so eintrudeln müssen.
Stattdessen lachte die Welt. Eines der von Vayner angeschriebenen Unternehmen stellte das intern wohl für Staunen und Gelächter sorgende pompöse Machwerk des streberhaften Möchtegerntausendsassas mit Sympathiedefizit und Selbstbewusstseinsüberschuss auf YouTube – und erschuf einen Star. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Video mit dem bescheidenen Titel „Impossible is nothing“, und alle, alle machten sich über den Jung-Yuppie und seine großspurige Selbstbeweihräucherung lustig. Mehr noch: Der plötzlich unverhofft im Rampenlicht stehende Vayner wurde investigativ regelrecht zerpflückt. Die Aufnahme vom Skifahren zeige gar nicht ihn selbst, seine beiden angeblichen Firmen seien Potemkin’sche Dörfer, und auch seine einzige Publikation wäre aus Internetquellen zusammengebastelt – von unschmeichelhaften Statements seiner Unikollegen zu seiner scheinbar dem Video entsprechenden Persönlichkeit ganz zu schweigen. Kurzum: Voller Schadenfreude und Häme hatten Millionen Web-User tagelang ihren Spaß daran, das aufgeblähte Ego des Unglückseligen zurechtzustutzen.
Und auch die klassischen Medien nahmen sich, wie üblich mit Verspätung, des Internetphänomens Vayner an: In Begleitung seines Anwalts trat der weltweit Geschmähte in mehreren Interviews und US-Talkshows vor die Kameras, um rechtliche Schritte gegen die für die Veröffentlichung der vertraulichen Bewerbungsunterlagen Verantwortlichen anzukündigen und sich über die „Hexenjagd“ gegen ihn zu beklagen. Weltweit als Paradebeispiel eines arroganten, größenwahnsinnigen und unsympathischen Strebers zu gelten, sei schon schlimm genug; doch überdies sehe er durch die Kampagne seine Karriere zerstört. Auf die Bewerbung habe auch kein potenzieller Arbeitgeber geantwortet.
Ein kleiner Trost: 15 Minuten sind schnell vorbei. Wer erinnert sich etwa heute noch an das „Star Wars Kid“? Auch hier war es ein selbstgedrehtes Video, das 2002 den dicklichen Teenager Ghyslain zum Weltstar wider Willen machte. Sein unfreiwillig komisches Gefuchtle mit dem imaginären Laserschwert hatte im Netz solche Popularität erlangt, dass er sich monatelang nicht mehr auf die Straße trauen konnte – auch hier waren Gerichtsverfahren, Entschädigungszahlungen und unzählige psychologische Nachbetreuungen für die beinahe vernichtete Existenz des Webstars wider Willen die Folge. Doch die Karawane zieht weiter: Auch weltweiter Spott verhallt mit der Zeit.
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