Reality Cracking: Geld IV: Silvio Gesell und die Freiwirtschaftstheorie

Nachdem admin Geld zum Thema des Winters ausgerufen hat, will ich mal sehen ob das BWL-Studium was genützt hat. Ich möchte hiermit versuchen Euch und mir selber die Theorie der Freiwirtschaft bzw. des Freigelds (siehe Wörgl-Experiment ) ein wenig näherzubringen.

Die Idee der Freiwirtschaft (folgend kurz FW), die auf den Grundsäulen Freigeld (FG), Freiland (FL) und Freihandel (FH) fußt, stammt vom Deutsch-Argentinier Silvio Gesell (1862 - 1930) und wird in seinem Hauptwerk "Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld" (1916) dargelegt. In das in unserer Zeit aktuelle dichotome Schema von Kapitalismus vs Sozialismus/Kommunismus lässt sich diese Theorie kaum einordnen, da sie sich gegen beide wendet. 

Im Gegensatz zum Marxismus sieht die FW das Grundübel des Kapitalismus nicht im Privatbesitz der Produktionsmittel, sondern in der Vormachtstellung des Geldes. Während Marx als Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital erkennt, lässt Gesell nur die Arbeit als solchen gelten.

Gegen den Kapitalismus wendet sich die FW insofern, als dass sie die Zinsgewinnung aus dem Horten von Geld nicht anerkennt, sondern im Gegenteil eine Art "negativen Zins", sie sog. Demurrage oder Umlaufsicherungsgebühr, einführt, die periodisch zu entrichten ist und somit den Eigentümer des Geldes animiert, das Geld auszugeben und dem Wirtschaftskreislauf zuzuführen. (An dieser Stelle möchte ich drauf hinweisen, dass Kapitalismus und freie Marktwirtschaft nicht identisch oder automatisch miteinander verknüpft sind, obwohl in unserer Zeit und dem aktuell herrschenden System dies zutrifft. FW versucht eine "Marktwirtschaft ohne Kapitalismus" einzuführen.)

Worum gehts nun in der Freiwirtschaft? Wie gesagt, sind die drei Säulen Freigeld, Freiland und Freihandel: 

Freigeld

Geld hat im Wirtschaftssystem drei Funktionen: Zahlungsmittel-, Wertaufbewahrungs- und Wertmessungsfunktion. Insbesondere gegen die Wertaufbewahrungsfunktion wendet sich das FG, da es, anders als Waren und Güter oder auch Arbeitskraft, jederzeit und beliebig lange aufbewahrt werden kann, wodurch der Geldbesitzer ein strukturelles Machtpotential erhält. Dieses Machtpotential macht Geld attraktiver als Waren, was den Nachfrager nach Geld dazu bewegt, dafür etwas zu zahlen, nämlich Zinsen. Diese Eigenschaften der Zinsen ist für die FG-Theorie die Bedeutendste und wurde von Gesell "Urzins ", von J.M.Keynes später dann "Liquiditätspramie" genannt (zu anderen Funktionen von Zinsen siehe hier ). 

Gesells Ausgangsfrage lautet: "Wie läßt sich die Eigenschaft des Geldes als wucherndes Machtmittel überwinden, ohne es dabei als neutrales Tauschmittel zu beseitigen?" (zit. nach Onken ) Wer Geld besitzt hält es also nach seinem Gutdünken zurück, beispielsweise um auf bessere Zinserträge zu warten. Die Rentabilität des Geldes wird wichtiger als seine mögliche Produktivität (wenn als Produktionsmittel eingesetzt), eine Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Bevölkerung vernachlässigt. Folge: Es kommt zu einer konzentrierten Verteilung von Geld und Sachkapital und zu inflationären und deflationären Schwankungen, das Geld fließt nicht automatisch durch das Wirtschaftssystem.

Die große Deflation (Geldknappheit und Preisverfall) nach 1929 war auch Grund für die Arbeitslosigkeit in Europa, und somit auch in Wörgl , da Anschaffungen in die Zukunft verschoben worden waren, weil erwartet wurde, dass die Güter billiger werden, Unternehmer auf ihren Waren sitzen blieben und die Arbeiter entlassen mussten.

Geld, das mit einer Umlaufsicherungsgebühr belegt wird, wird seiner Attraktivität zur Hortung beraubt und somit zu einem "neutralen Diener der Märkte". Spekulative Interventionen am Markt wären ausgeschlossen, und das Geldvolumen könnte laufend dem Gütervolumen angepasst werden, was eine Geldwertstabilität (ähnlich wie Maße und Gewichte) und Verflachung oder sogar Eliminierung von Konjunkturzyklen zur Folge hätte. Dadurch wäre auch eine weitere Funktion von Zinsen, nämlich die Ausgleichung der Inflation, hinfällig. 

 
Freiland 

Boden kann aufgrund seiner "Unverderblichkeit"  - ähnlich wie Geld - als Wertaufbewahrungsmittel fungieren, und würde sich bei abgeschafften Zinsen bei Spekulanten noch höherer Beliebtheit als eh schon der Fall ist erfreuen. Dadurch macht eine Geldreform erst gemeinsam mit einer Bodenreform Sinn: dabei würde der gesamte Boden in den öffentlichen Besitz rückgeführt werden (z. B. an die Gemeinden) und von den privaten Nutzern eine Nutzungsgebühr in Höhe der Bodenrente , also des ökonomischen Gegenwertes oder Ertragsfähigkeit des Bodens, eingefordert. Die bisherigen Besitzer behalten das Nutzungsrecht und Privateigentum an Gebäuden bliebe weiterhin bestehen. Wichtig wäre auch, dass die Nutzungsgebühr nicht als Steuer und somit Geldbeschaffungsmöglichkeit für die öffentliche Hand gesehen werden darf.

In seinen Gedanken über Freiland wurde Gesell stark von Henry George (1839-1897) beeinflusst. Gesell ging es nicht primär um eine Umverteilung von Großgrundbesitzern hin zu kleinen Bauern, was in Landreformen oft der Beweggrund ist, oder um eine völkische Blut -und-Boden-Verbindung, sondern um  die Abschaffung von privaten Eigentumsrechten am Boden und somit einer prinzipiellen Nutzbarkeit durch jede/n, nämlich den/die Höchstbietende/n.

Freihandel 

Dazu muss, glaube ich, nicht viel gesagt werden, wir kennen ihn aus unserer aktuellen Wirtschaftsordnung.

Aktueller Stand und Verbreitung 

Obwohl bspw. J.M.Keynes über Gesell gesagt hat, die Welt "werde von (seinem) Geist mehr profitieren als vom Geiste Karl Marx" scheint dies z. Z. nicht wirklich der Fall. Es gibt zwar einige Ökonomen und Gruppen die sich mit FW oder bestimmten Ansätzen daraus beschäftigen (Werner Onken, Dieter Suhr, das INWO oder geldreform.de ), doch im Mainstream ist die FW kaum vertreten (was sich auch mit meinen Erfahrungen im Studium deckt). Kapitalismuskritische Organisationen wie Attac sehen sich dem Marxismus mehr verpflichtet als der FW, da diese nicht den Kapitalismus insgesamt, sondern lediglich einige Aspkte, allen voran das Zinswesen, kritisiert; darüberhinaus gibts immer wieder Vorwürfe des Antisemitismus.

Kleine, regional beschränkte Experimente mit Freigeld gibt es als sogenanntes Regiogeld : das sind lokal beschränkte Parallelgeldsysteme, die entweder durch den Euro oder durch die Leistungen der Unternehmen gedeckt sind und mit einer Umlaufsicherung versehen sind. 

Webtipps

INWO

geldreform.de

Regiogeld

http://de.wikipedia.org/wiki/Freiwirtschaft 

Das Medium Geld

Monetary Freedom Network (ein anderer Ansatz gegen das bestehende Geldsystem)