Reality Cracking: Geld II: Das Wörgl-Experiment
Geld ist so was wie mein tamtam-Leitthema zu dieser schönen Jahreszeit, wo ja alle Menschen vor lauter Besinnlichkeit, adventlicher Einkehr und Erinnerung an die wirklich wichtigen Dinge des Lebens nur selten dazu kommen, über den schnöden Mammon und seine Verwendung nachzudenken. Überhaupt scheint es, dass man ganz generell selten über das Geld an sich nachdenkt. Wohl lernt der eine oder andere in BWL oder im Sachkundeunterricht, wie unser bestestes aller Wirtschaftssysteme so funktioniert, aber so richtig Durchblick haben nur die wenigsten.
Interessant zum Beispiel, dass im Jahre 1933 just in Österreich, im schönen Städtchen Wörgl in Tirol, ein weltweit beachtetes und durchschlagend erfolgreiches Geldexperiment stattfand, das auf Betreiben der Nationalbank eingestellt werden musste und durch den Zweiten Weltkrieg fast völlig in Vergessenheit geraten ist.
Ein bisschen Heimatkunde für Geldverwender. >>>
Kurz gesagt wurde in Wörgl wegen der Wirtschaftskrise das herkömmliche Geld durch umlaufgesichertes Freigeld ersetzt, eine Idee, die vom bereits hier einmal erwähnten Wirtschaftsdenker Silvio Gesell stammt. Stark vereinfacht gesagt funktionierte das Ganze so: Jede Banknote des Freigeldes musste von ihrem Besitzer einmal monatlich mit einer Stempelmarke in der Höhe von 1 % ihres Nennwertes beklebt werden. Daraus ergibt sich logischerweise ein Anreiz, das Geld nicht zu horten, sondern es der Wirtschaft zuzuführen. Zinserträge fallen bei diesem Modell weg, das Geld erhält seinen "Tauschwert" zurück.
Das Experiment war ein kolossaler Erfolg: Wikipedia sagt :
"Geldkreislauf und Wirtschaftstätigkeit wurden – entgegen dem allgemeinen Trend im Land – wiederbelebt. Überall in Wörgl wurde gebaut und investiert.Noch heute zeugt unter anderem eine Straßenbrücke mit der Aufschrift „mit Freigeld erbaut“ davon. In den vierzehn Monaten des Experiments nahm die Arbeitslosenquote in Wörgl von 21 auf 15 Prozent ab, während sie im übrigen Land weiter anstieg.
Die positiven Auswirkungen führten dazu, dass der Modellversuch in der Presse als das „Wunder von Wörgl“ gepriesen wurde. Das Interesse daran stieg derart, dass über hundert weitere Gemeinden in Österreich dem Beispiel folgen wollten. Auch im Ausland und in Übersee fand die Aktion starke Beachtung und Nachahmer. Aus Frankreich reiste der Finanzminister und spätere Ministerpräsident Édouard Daladier an, in den USA schlug der Wirtschaftswissenschaftler Irving Fisher der amerikanischen Regierung – wenn auch vergeblich – vor, ein Wörgl-ähnliches Geld mit Namen Stamp Script zur Überwindung der Wirtschaftskrise einzuführen.
Allerdings erhob die Oesterreichische Nationalbank gegen die Wörgler Freigeld-Aktion vor Gericht erfolgreich Widerspruch, weil allein ihr das Recht auf Ausgabe von Geld zustand. Das Experiment von Wörgl und alle weiteren Planungen wurden verboten. Unter Drohung von Armeeeinsatz beendete Wörgl das Experiment im September 1933. Da bald darauf der Zweite Weltkrieg ausbrach, gerieten das Modell und sein Erfolg weitgehend in Vergessenheit."
Seit diesem frühen Angriff auf das erfolgreiche Freigeld-Experiment wurden keine Versuche mehr unternommen, das mächtige Zinssystem der großen Banken durch Alternativen zu umgehen. brand eins , das feine Magazin für Wirtschaft, hat ebenso einen Artikel über dieses nicht gescheiterte, aber gestoppte Experiment zur sinnvolleren Geldverwendung im Archiv , und das Unterguggenberger Institut Wörgl versucht heute, das Bewusstsein wiederzuwecken, dass unser Geldsystem kein Naturgesetz, sondern menschengemacht ist. Michael Unterguggenberger war der Bürgermeister, der in den Dreißigerjahren das mutige Geldexperiment eingeleitet hatte.
Wie neulich erwähnt, besitzen ja die reichsten zwei Prozent der erwachsenen Erdbevölkerung heute die Hälfte aller Besitztümer, die ärmere Hälfte der Menschheit hingegen besitzt nur etwa ein Prozent. Dummerweise - und logischerweise - sind gerade diese wenigen, die durch ihre Kapitalmengen am meisten vom Zinssystem profitieren, recht ungewillt, dieses System zu ändern - heute noch um einiges mehr als 1933.
Next up: "10-Punkte-Plan zu effizienten Ausbeutung eines Planeten mit halbintelligenten Lebensformen." Sendung mit der Maus für halbgebildete Akademiker wie mich. Stay tuned.
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