Reality Cracking: Elektronischer Wahlbetrug in Italien?

Was Bush 2004 recht war, scheint seinem Schüler Berlusconi 2006 nur billig zu sein. Der Film "Uccidete la Democrazia " ("Ihr bringt die Demokratie um") behauptet, es habe bei den Parlamentswahlen im April 2006 einen groß angelegten Wahlbetrug gegeben. Immerhin: die Staatsanwaltschaft ermittelt.

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Dass in Italiens Innenpolitik mitunter Kräfte walten, die mit Parlamentarismus nichts zu tun haben, ist spätestens seit den Achtzigern bekannt. Mafiöse Verwicklungen von Christdemokratie und Sozialisten, mörderische Skandale um eine vatikanische Bank, eine rechtskatholische Geheimloge, die - von den USA unterstützt - im Fall eines Wahlsiegs der Kommunisten durch einen Putsch die Macht übernehmen sollte. Prominentestes Mitglied der Propaganda Due: Silvio Berlusconi.

Wenn man Enrico Deaglio, Chefredakteur der linken Wochenzeitschrift "Diario" und dem Filmemacher Beppe Cremagnani glauben darf, ist bei den Parlamentswahlen im April dieses Jahres ein Wahlbetrug ungeheuerlichen Ausmaßes passiert. Per Software soll ein Großteil der weiß abgegebenen Stimmzettel bei der Auszählung automatisch auf das Stimmenkonto von Berlusconis Forza Italia gebucht worden sein.

Am 11. April hatte Berlusconis Mitte-Rechts-Bündnis in einer beispiellosen Aufholjagd zum favorisierten Oppositionsbündnis "Unione" aufgeschlossen. Am Nachmittag hatte Prodis Mitte-Links-Bündnis "Unione" - wie es auch die Meinungsforscher prognostiziert hatten - 5 Prozentpunkte Vorsprung gehabt; wenige Stunden später war dieser auf hauchdünne 0.1% zusammengeschrumpft.

Den Filmemachern ist nun aufgefallen, dass die Anzahl der weißen Stimmzettel im Vergleich zum Jahr 2001 von durchschnittlich 4,2% auf 1,1% gesunken ist, in Pulien und Kampanien etwa um ganze 74%.

Es ist in einigen Regionen Italiens durchaus üblich, seinem Protest durch Weißwählen Ausdruck zu verleihen: die Bandbreite der weißen Stimmzettel unterliegt dabei jedoch starken regionalen Schwankungen. Daher ist es weiters bemerkenswert, dass sich die Anteile der weißen Stimmzettel in unglaublichem Maße angepasst haben. Offenbar war bei der computergestützten Übertragung der Stimmen ins Innenministerium systematisch ein Großteil der weiß abgegebenen Stimmzettel an die Mitte-Rechts-Koalition gegangen.

Involviert soll der christdemokratische Innenminister Beppe Pisanu gewesen sein; dieser habe Berlusconi während der Auszählungen dreimal in Berlusconis Hauptquartier besucht, wobei es einem Zeugen zufolge zu einem heftigen Streit gekommen sein soll. Der Grund dafür war, so mutmaßen Deaglio und Cremagno, dass Pisanu sich geweigert habe, die Wahlfälschung bis zu einer totalen Umdrehung des Ergebnisses voranzutreiben.

Zugegebenermaßen klingt die Story wie der Plot einer Verschwörungstheorie: gemessen an bereits ans Licht gekommenen Skandalen ist sie aber durchaus glaubhaft. Pisanu dementiert heftig, die Staatsanwaltschaft ermittelt jedenfalls.

Der aktuelle "Diario" mit der Filmbeilage ist bereits ausverkauft, der Film "Uccidete la democrazia!" ist jedoch auch als Beilage zum Buch "Il Broglio" erhältlich und kann hier bestellt werden.

Italienischkundige können sich hier ein Interview des Corriere della Sera mit Enrico Deaglio anhören.