Olles Vabrecha
Zum Glück gibt es den Staat, der dafür sorgt, dass seine Bürger sicher sind – und bleiben. Ein zwangloses Interview aus aktuellem Anlass.
So! Tschuldigung, dass wir Sie ein bisserl warten haben lassen … aso? Zwölf Stunden? Doch erst? Na, umso besser, dann hatten Sie ja zumindest schon ein bisschen Zeit, sich Gedanken zu machen, warum Sie jetzt hier sind, nicht? … Moment, Moment, jetzt beruhigen Sie sich, eins sag ich Ihnen jetzt ganz klar in aller Freundschaft: An andern Ton, bitte, ja? Also: Was glauben S’ denn, warum Sie die Kollegen von der Exekutive hierher zu mir in den Keller gebracht haben? Keine Ahnung? Das wissen S’ nicht? Das ist ein Versehen? Ein Irrtum?!? Hören S’, Sie glauben also, ich und die Kollegen im Ministerium für staatliche Sicherheit sind unfähig? Soll ich jetzt das als Ihre Aussage aufschreiben? … Wie bitte? A bisserl lauter …? Ah net. Hab ich mir gedacht. Sie sind unschuldig, sagen S’? Na, dann haben S’ ja nix zu befürchten und können mir ja sicher ein paar Fragen beantworten, gell?
Also. Wie Sie ja sicher wissen, leben wir in enorm unsicheren Zeiten. Überall tödliche Terroristen, perverse Pädophile, barfüßige Berufsdemonstranten, fiese Vaterlandsverleumder und staatszersetzende Saboteure an jedem Eck. Sie können sich sicher denken, dass wir deshalb hier jede Menge Arbeit haben, jaja, wenn Sie wüssten! Wir kriegen hier ja laufend alles Mögliche rein, den Bodensatz der Gesellschaft, frage nicht! Nach außen biedere Familienväter, die uns dann später, nach etwas robusterer Befragung, weinend gestehen, dass sie das Gemeinwesen zerstören, indem sie jedes Wochenende schwarz arbeiten gehen und schamlos die Finanz betrügen! Verbitterte Witwen, die am Lügendetektor schließlich doch zusammenbrechen unter der Last ihrer Verbrechen gegen das Hundstrümmerlgesetz! Rotzfreche Klosterschülerinnen, die nach zwei, drei Tagen Isolationshaft unter Heulkrämpfen zugeben, die fünfte Staffel von „Saturday Night Fever“ raubkopiert zu haben! Gemeingefährliche Friseurinnen, die nach einer Woche Beugehaft am Flughafen dem Zoll gestehen wollen, dass die Louis-Vuitton-Tasche vielleicht doch kein Original ist! Unschuldig? Dass ich nicht lache: Niemand ist unschuldig!
Was? Wieso ausgerechnet jetzt Sie hier da sitzen? Ja, eben, das wollen wir jetzt hier rausfinden. Weil: Sie halten sich scheinbar für oberschlau. Supersauber. Unschuld vom Land. Gut, ich sag Ihnen, warum Sie da sind: Sie sind so sauber, das ist unrealistisch. Sie sind so vorbildhaft gesetzestreu, das glaubt Ihnen nicht mal Ihre Oma. Sie haben eine so weiße Weste, das stinkt zum Himmel. Enorm verdächtig. Aber damit hat’s jetzt ein Ende, sag ich Ihnen, weil wir sind Profis! Beweise? Welche Beweise wir haben? Na, wozu sitz ich wohl da mit Ihnen? Wenn wir wie bei jedem anderen normalen Menschen was auf Facebook, im Mistkübel, am Telefon, auf der Steuererklärung, unterm Bett, hinter der Wandverkleidung im Büro, in den versteckten Ordnern auf dem Laptop gefunden hätten … aber: nix. Für wie blöd halten Sie uns eigentlich? Haben Sie Kopfweh? Drückt der Heiligenschein? Ich sag Ihnen, wir wissen zwar noch nicht, WAS Sie ausgefressen haben, aber eines steht fest: Das war sehr ungeschickt von Ihnen, dass Sie so gar keinen Dreck am Stecken haben! Das ist den Kollegen schon letzten Monat bei einer Routine-Onlinedurchsuchung ungut aufgefallen, nicht, da schrillen schon die Alarmglocken, wenn’s da gar nichts zu finden gibt! Und als wir dann natürlich misstrauisch geworden sind und Sie mal vorsorgehalber genauer unter die Lupe genommen haben – na? Was, glauben S’, haben wir da gefunden, nach 899 Mannstunden Observation und genauer Durchleuchtung Ihrer Daten, Konten und Unterwäscheladen? Na? Genau: gar nichts.
Aber jetzt ist Schluss – das Spiel ist aus! Ja, da werden S’ jetzt ganz bleich, weil jetzt haben Sie’s nicht mehr mit Anfängern zu tun, nein, ich bin nämlich so was wie der Spezialist hier im Haus, der Experte für harte Fälle wie Sie! Was? Sie haben Angst? Ha! Dann können S’ wohl nicht unschuldig sein, weil Sie wissen eh: Wer nichts zu verbergen hat, hätte ja wohl auch nichts zu befürchten! Also los: Gestehen S’! Wie, „was gestehen“ – woher soll ich das denn wissen? Immer noch nichts? Gut. Bittesehr. Sie lassen mir keine Wahl, Sie verstocktes Subjekt. Glauben S’, mir macht das Spaß? Das wird jetzt für mich genauso unangenehm wie für Sie! Naja, fast.
Alsdann, los geht’s! Wieso ich mir jetzt die Gummihandschuhe anziehe? Na was glauben Sie: Wir gehen den Dingen hier gründlich auf den Grund – und sonst haben wir ja schon alles durchsucht! Zackzack, aufstehen, umdrehen … Bitte? Sie glauben, das tut weh? Aber geh, na, da kann ich Sie beruhigen: Mir nicht.
(Erschienen in Report(+)PLUS Oktober 11)
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