Reynolds, Simon: Generation Ecstasy - into the world of techno and rave culture
Zugegeben, der Titel wirkt ein wenig reißerisch und auch irritierend: Erwartet man sich im ersten Moment eine Abhandlung über Ecstasy, dessen Geschichte, Chemie und Wirkung, so wird man doch gleich vom Untertitel in die richtige Richtung gedrängt: es handelt sich nämlich primär um ein Abhandlung zur Geschichte von Techno und Rave - sowohl über die Musik selbst als auch die Kultur drumherum.
Natürlich kann man keine Analyse von Technokultur schreiben, ohne Ecstasy und andere Drogen zu behandeln und deren Einfluss auf die Musik zu analysieren. Und das macht Reynolds sehr gut: eines der 19 Kapitel beschäftigt sich ausschließlich mit MDMA , dessen Chemie und neurochemischen Wirkungen sowie dessen Geschichte. Darüber hinaus wird immer wieder auf die Implikationen des Drogenge- und -missbrauchs im Zusammenhang mit der Entwicklung der Musik und der Kultur des Techno hingewiesen und die gegenseitige Beeinflussung und Wechselwirkungen analysiert.
Nichtsdestotrotz ist das Buch in allererster Linie KEIN Drogenbuch, sondern - wie erwähnt - eine kulturgeschichtliche Analyse von Rave und Techno. Die Geschichte beginnt bekanntlich in Detroit, wo die sogennanten "Belleville Three" (Kevin Saunderson, Juan Atkins und Derrick May) aus den musikalischen Einflüssen von Kraftwerk, Giorgo Moroders Disco, Gary Numans Synth-Punk sowie George Clintons Funk ihre eigene Musik entwickelten. Weiter geht die Geschichte nach Chicago und New York, v. a. aber nach England, wo Acid-House gemeinsam mit (dem aus Ibiza "importierten") Ecstasy zum zweiten "Summer of Love" (1988, in Ahnlehnung an den "Summer of Love" 1967 ) und zur Geburtsstunde des Rave wurde. Reynolds analysiert daran anschließend die weitere Entwicklung, die die Rave-Kultur in England nimmt, wie sie ihre Kreise weiter nach Belgien, Holland, Deutschland und wieder zurück in die USA (diesmal v. a. Kalifornien und Florida) zieht, wie sich die Musik immer weiter in diverse Genres und Subgenres aufsplittet (Hardcore, Intelligent Techno, Trance, Jungle, Gabba bis hin zu Trip Hop, Techstep und Intelligent D n B), sich immer wieder Elemente anderer Genres bedient (v. a. Hiphop , Reggae /Dancehall und EBM ) und wieder abwirft und wie sich die jeweils dazugehörige Geisteshaltung und der Drogenethos entwickelt. Mit großer Akribie zeichnet Reynolds die vielseitigen Wechselspiele der jeweiligen kulturellen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen, philosophischen und technologischen Faktoren nach und erklärt deren Einfluss auf die musikalische und kulturelle Entwicklung der diversen (Sub-)Genres und Szenen. In dieser detaillierten und intelligenten Analyse eines Insiders der ersten Stunde liegt meiner Meinung nach die große Stärke dieses Buchs.
Das größte Manko dieses Buches (wofür allerdings der Autor keine Schuld trägt) ist: es ist bereits 1998 geschrieben worden... Insofern können natürlich die Entwicklungen und Neuerungen der letzten Jahre nicht erfahren werden - das Buch endet mit "nineties house, speed garage, and big beat". Nichtsdestotrotz ist das Buch eine hervorragende Lektüre für jeden, der wissen will, wie wann wo und v. a. warum Techno sich zu einem derartig großen kulturellen Phänomen entwickelt hat.
Ein kleineres Manko ist die starke Fixierung auf den Anglo-Amerikanischen Raum, was natürlich darin begründet ist, dass sich diese Musik und Kultur in diesem Raum entwickelt haben. Dennoch wäre es nicht uninteressant, darüber hinaus auch die Entwicklungen beispielsweise in Ibiza, Italien, Deutschland oder auch in Goa und Thailand zu skizzieren, zumal z. B. Italo-House immer wieder als grundlegender Einfluss auf die Belleville Three angeführt wird.
Das Buch enthält außerdem eine recht umfangreiche Diskografie aller erwähnten Tracks und einiger mehr, unterteilt nach Genre. Auf Amazon.com kann diese zwar nicht, dafür aber Inhaltsverzeichnis, Index, erste Seite sowie ein Exzerpt eingesehen werden.
Reynolds, Simon: Generation Ecstasy - into the world of techno and rave culture. Routledge, New York. 1999. In UK ist das Buch unter dem Titel "Energy Flash" erschienen.
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